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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Stolz unserer Nation. Wir haben sie gerade beschnitten in einem Ritual, das Mannbarkeit verheißt, aber ich bin hier, um euch zu sagen, daß das eine leere, illusorische Verheißung ist, ein Versprechen, das niemals erfüllt werden kann. Denn wir Xhosas und alle schwarzen Südafrikaner sind ein besiegtes Volk. Wir sind Sklaven in unserem eigenen Land. Wir sind Pächter auf unserer eigenen Erde. Wir haben keine Kraft, keine Macht, keine Kontrolle über unser eigenes Geschick im Land unserer Geburt. Für den Rest ihres Lebens werden sich diese jungen Männer die Lunge raushusten tief in den Eingeweiden der Minen des weißen Mannes, ihre Gesundheit zerstörend, niemals die Sonne sehend, damit der weiße Mann ein Leben in einzigartigem Wohlstand führen kann. Sie werden in große Städte ziehen, wo sie in Verschlägen hausen und billigen Alkohol trinken werden, und all dies, weil wir kein Land haben, das wir ihnen geben könnten, damit sie darauf gedeihen und sich vermehren. Unter diesen jungen Männern sind Häuptlinge, die niemals herrschen werden, weil wir nicht die Macht haben, uns selbst zu regieren; Soldaten, die niemals kämpfen werden, weil es für uns nichts zu kämpfen gibt, und auch keine Waffen, um zu kämpfen; Gelehrte, die niemals lehren werden, weil wir für sie keinen Platz zum Studieren haben. Die Fähigkeiten, die Intelligenz, die Verheißung dieser jungen Männer werden vergeudet werden bei dem Versuch, mühselig, die Existenz herauszuschinden, indem sie für den weißen Mann die geistlosesten Arbeiten verrichten. Die Gaben von heute sind nichtig, denn wir können ihnen nicht die größte aller Gaben geben, Freiheit und Unabhängigkeit. Ich weiß wohl, daß Qamata (Gott) allsehend ist und niemals schläft, doch habe ich den Verdacht, daß Qamata womöglich döst. Sollte das der Fall sein, so meine ich, je eher ich sterbe, desto besser, weil ich ihn dann treffen kann, um ihn wachzurütteln und ihm zu sagen, daß die Kinder von Ngubengcuka, die Blüte der Xhosa-Nation, dahinsterben.«
    Die Zuhörer waren, während Häuptling Meligqili sprach, immer stiller geworden und auch, glaube ich, immer ärgerlicher. Niemand wollte die Worte hören, die er an jenem Tag sprach. Ich weiß, daß ich selbst sie nicht hören wollte. Ich war eher verstimmt als wachgerüttelt durch die Worte des Häuptlings. Ich bekenne, daß ich seine Rede abtat als beleidigende Bemerkungen eines unwissenden Mannes, der nicht fähig war, die Werte zu würdigen, die der weiße Mann in unser Land gebracht hatte, Bildung und andere Wohltaten. Zu dieser Zeit sah ich den weißen Mann nicht als Unterdrücker, sondern als Wohltäter, und ich fand, daß der Häuptling unglaublich undankbar war. Dieser anmaßende Mann verdarb mir mit seinen unangebrachten Bemerkungen den Tag, das wunderbare Gefühl des Stolzes.
    Aber bald schon, ohne daß ich genau begriff warum, begannen seine Worte in mir zu wirken. Er hatte seinen Samen gesät, und wenn ich diesen Samen lange auch gleichsam brachliegen ließ, so begann er schließlich doch zu wachsen. Schließlich begriff ich, daß der unwissende Mann an jenem Tag nicht der Häuptling gewesen war, sondern ich selbst.
    Nach dem Ende der Zeremonie ging ich wieder zum Fluß und schaute, wie er sich über viele Meilen dahinschlängelte in Richtung Indischer Ozean. Ich hatte diesen Fluß noch nie überquert, und ich wußte wenig oder nichts von der Welt auf der anderen Seite, eine Welt, die mir an diesem Tag zu winken schien. Es war fast schon Sonnenuntergang, und ich eilte weiter zu der Stelle, wo unsere Hütten gestanden hatten. Obwohl es verboten war zurückzublicken, während die Hütten brannten, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen. Als ich die Stelle erreichte, waren nur noch zwei Aschenhaufen bei einem großen Akazienbaum zu sehen. In diesem Haufen lag eine verlorene und freudvolle Welt, die Welt meiner Jugend, die Welt süßer und unbeschwerter Tage in Qunu und Mqhekezweni. Jetzt war ich ein Mann, und niemals wieder würde ich »Thinti« spielen, Mais stehlen oder Milch aus einem Kuheuter trinken. Ich trauerte bereits um meine Jugend. Rückblickend weiß ich, daß ich an jenem Tag kein Mann war und erst viele Jahre später wirklich einer werden würde.
     
     
    Ich wußte, daß ich, anders als die meisten, mit denen ich in der Beschneidungsschule gewesen war, nicht in den Goldminen am Reef arbeiten würde. Häufig hatte der Regent zu mir gesagt: »Dir ist es nicht bestimmt, dein Leben damit zu

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