Der lange Weg zur Freiheit
Lehrkörpers pflegten sich Reverend Harris gegenüber servil zu verhalten, doch Mr. Mahlasela betrat das Büro des Direktors in absoluter Furchtlosigkeit und nahm nicht einmal den Hut ab! Er begegnete dem Reverend als Ebenbürtiger und widersprach ihm oft, wo andere dem Direktor einfach zustimmten. Obwohl ich Reverend Harris respektierte, bewunderte ich Mr. Mahlasela dafür, daß er sich von ihm nicht kleinkriegen ließ. Damals wurde von einem Schwarzen mit akademischem Grad erwartet, daß er sich vor einem Weißen mit Grundschulbildung bückte. Mochte ein Schwarzer auch noch so weit nach oben gelangt sein, er galt dennoch weniger als der niedrigste Weiße.
Reverend Harris leitete Clarkebury mit eiserner Hand, jedoch mit einem gleichbleibenden Sinn für Fairneß. Clarkebury war eher eine Militärakademie denn eine Lehrerausbildungsstätte. Der leiseste Verstoß gegen die Regeln wurde prompt bestraft. Bei Versammlungen zeigte Harris stets einen furchteinflößenden Gesichtsausdruck und neigte zu keinerlei Nachgiebigkeit. Betrat er einen Raum, so erhoben sich die Mitglieder des Lehrkörpers, darunter auch die weißen Leiter der Ausbildungs- und der Sekundärschulen sowie die schwarzen Leiter der Gewerbeschulen.
Von den Studenten wurde er mehr gefürchtet als geliebt. Doch im Garten erlebte ich einen anderen Reverend Harris. In seinem Garten zu arbeiten hatte einen doppelten Vorteil: Ich entwickelte eine lebenslange Liebe zur Gärtnerei und zum Anbau von Gemüse, und es half mir, den Direktor und seine Familie kennenzulernen – die erste weiße Familie, zu der ich je engere Beziehung gehabt hatte. Auf diese Weise erkannte ich, daß Reverend Harris ein öffentliches Gesicht und ein privates Verhalten hatte, die sich stark voneinander unterschieden.
Hinter der strengen Maske verbarg sich ein sanftmütiger, weitherziger Mensch, der inbrünstig daran glaubte, daß die Erziehung junger Afrikaner sehr wichtig sei. Oft traf ich ihn gedankenverloren in seinem Garten. Ich störte ihn nicht und sprach nur selten mit ihm, doch als Beispiel eines Mannes, der sich einer guten Sache widmete, war Reverend Harris ein wichtiges Vorbild für mich.
So wortkarg Reverend Harris war, so gesprächig war seine Frau. Sie war ein reizendes Wesen und kam oft in den Garten, um mit mir zu plaudern. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, worüber wir sprachen, habe jedoch noch den Geschmack der köstlichen warmen Teekuchen auf der Zunge, die sie mir nachmittags in den Garten brachte.
Nach meinem langsamen, eher unauffälligen Start kam ich dann aber doch sehr gut zurecht, und bald konnte ich mein Lernprogramm beschleunigen. Gewöhnlich brauchte man für das sogenannte Junior Certificate drei Jahre, doch ich schaffte es in zwei. Ich erwarb mir den Ruf, ein außergewöhnliches Gedächtnis zu besitzen, doch in Wirklichkeit war ich ganz einfach ein fleißiger Arbeiter. Als ich Clarkebury verließ, verlor ich Mathona aus den Augen. Sie war eine Tagesschülerin, und ihre Eltern besaßen nicht die Mittel, ihr eine weitere Ausbildung zu ermöglichen. Mathona war außergewöhnlich klug und begabt, doch weil ihre Eltern nicht über das notwendige Geld verfügten, konnte sie ihre Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen. Dies war eine nur allzu typische südafrikanische Geschichte. Nicht an Fähigkeit mangelte es meinem Volk, sondern an Gelegenheit.
Die Zeit in Clarkebury hatte meinen Horizont erweitert, dennoch würde ich nicht sagen, daß ich ein völlig aufgeschlossener, vorurteilsloser junger Mann war, als ich die Schule verließ. Ich hatte Studenten aus der ganzen Transkei getroffen, auch einige aus Johannesburg und Basutoland, wie Lesotho damals genannt wurde. Manche der Studenten waren auf eine Weise intellektuell und kosmopolitisch, die mir das Gefühl gab, provinziell zu sein. Obwohl ich ihnen nacheiferte, hielt ich es doch nicht für möglich, daß ein Junge vom Lande mit ihrer Weitläufigkeit konkurrieren könne. Als ich Clarkebury verließ, war ich im Herzen noch immer ein Thembu, und ich war stolz darauf, wie ein Thembu zu denken und zu handeln. Meine Wurzeln waren mein Schicksal, und ich glaubte, ich würde Berater eines Thembu-Königs werden, wie mein Vormund es wünschte. Mein Blick ging nicht über das Thembuland hinaus, und ich glaubte, ein Thembu zu sein sei das Beneidenswerteste, was es auf Erden gab.
1937 als ich 19 war, stieß ich zu Justice in Healdtown, dem Wesleyan College in Fort Beaufort, ungefähr 250
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