Der lange Weg zur Freiheit
vielen anderen besucht, die mir etwas zu essen brachten, darunter die allzeit getreue Mrs. Pillay, die mich täglich mit einem würzigen Mittagessen versorgte.
Die Großzügigkeit meiner Besucher brachte mich in Verlegenheit, denn so war ich in der Lage eines Reichen, der nicht wußte, wohin mit all seinen Gütern. Gern hätte ich die Lebensmittel mit den anderen Häftlingen auf meinem Flur geteilt. Doch das war streng verboten. Um diese Beschränkung zu umgehen, bot ich den Wärtern von den Lebensmitteln an, damit sie sich vielleicht nachsichtiger zeigten. Mit dieser Absicht hielt ich einen glänzenden roten Apfel einem afrikanischen Wärter hin, der ihn anschaute und ihn dann grob zurückwies mit dem Ausdruck »Angiyifuni« (»Ich will ihn nicht«). Afrikanische Aufseher sind in der Regel viel mitfühlender als weiße oder aber noch strenger, als wollten sie ihre Herren übertreffen. Doch kurz darauf sah der schwarze Wärter, wie ein weißer den von ihm verschmähten Apfel annahm, und er überlegte es sich anders. Bald versorgte ich all meine Mithäftlinge mit Lebensmitteln.
Durch die geheime Verständigung im Gefängnis erfuhr ich, daß auch Walter nach Pretoria gebracht worden war, und obwohl wir voneinander isoliert waren, konnten wir doch ganz leidlich miteinander kommunizieren. Walter hatte seine Freilassung auf Kaution beantragt – ein Entschluß, den ich voll unterstützte. Die Frage der Kaution ist beim ANC lange ein heikles Thema gewesen. Manche meinten, wir sollten stets auf Kaution verzichten, weil es sonst so ausgelegt werden könne, als seien wir schwachbrüstige Rebellen, welche die rassistischen Vorbehalte des Rechtssystems akzeptierten. Ich hielt dafür, diese Ansicht sei nicht allgemein anwendbar, und schlug vor, von Fall zu Fall zu entscheiden. Seit Walter Generalsekretär des ANC war, hatte ich mich stets dafür ausgesprochen, wir sollten jeden Versuch unternehmen, um ihn gegen Kaution frei zu bekommen. Er war für die Organisation einfach zu wichtig, um ihn im Gefängnis dahinkümmern zu lassen. In seinem Fall war die Kaution eine praktische, keine theoretische Angelegenheit. In meinem Fall war das anders. Ich war im Untergrund gewesen, Walter nicht. Ich war ein weithin bekanntes Symbol für Rebellion und Kampf geworden, Walter arbeitete hinter den Kulissen. Er war einverstanden, daß in meinem Fall kein Antrag auf Freilassung gegen Kaution gestellt werden sollte. Sicher wäre ein solcher Antrag ohnehin abgewiesen worden, und ich wollte nichts unternehmen, was den Eindruck hätte erwecken können, als sei ich auf die Konsequenzen des von mir gewählten Untergrundlebens nicht vorbereitet.
Kurz nachdem Walter und ich zu dieser Entscheidung gekommen waren, wurde ich erneut in das Hospital des Forts verlegt. Für Oktober war ein Hearing angesetzt worden. So wenig sich zugunsten eines Gefängnisses sagen läßt, immerhin ist Zwangsisolierung dem Studium förderlich. Ich hatte Fernstudien für einen akademischen Grad begonnen, mit dem ich als Anwalt hätte praktizieren können. Gleich nach meiner Einlieferung in das Pretoria Local (Gefängnis) hatte ich einen Brief an die Behörden geschrieben, in dem ich sie von meiner Absicht unterrichtete zu studieren; außerdem hatte ich um Erlaubnis ersucht, ein Exemplar des »Law of Torts« (Schadenersatzrecht) erwerben zu dürfen, da ich es für mein Studium benötigte.
Einige Tage später marschierte Colonel Aucamp, leitender Offizier des Pretoria Local und einer der berüchtigtsten Gefängnisbeamten, in meine Zelle und trompetete mit starrem Blick: »Mandela, jetzt haben wir Sie!« Dann erklärte er: »Warum wollen Sie ein Buch über Fackeln (Aucamp verwechselte die Worte »Torts« und »Torches«) haben, Mann, wenn Sie sie nicht für Ihre verdammte Sabotage benutzen wollen?« Ich hatte keine Vorstellung, worüber er sprach, bis er meinen Brief hervorzog, mit dem ich ein Buch anforderte, das Aucamp »The Law of Torches« nannte (also »Das Fackelrecht«). Ich mußte lächeln, und da wurde er wütend, weil er dachte, ich nähme ihn nicht ernst. In Africaans heißt »torch« (Fackel) »toort«, also ziemlich ähnlich wie »tort«, und ich erklärte ihm, daß das englische »tort« ein Rechtszweig sei und nicht ein brennendes Holzstück, das man zum Zünden einer Bombe benutzen könne. Beleidigt stampfte Aucamp davon.
Als ich eines Tages auf dem Gefängnishof des Forts meine täglichen Übungen machte – Jogging, Auf-der-Stelle-Laufen, Liegestütz und
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