Der lange Weg zur Freiheit
Sitzbeugen –, näherte sich mir ein hochgewachsener, gutaussehender Inder namens Moosa Dinath, den ich flüchtig als wohlhabenden, ja, äußerst erfolgreichen Geschäftsmann gekannt hatte. Er saß eine zweijährige Gefängnisstrafe wegen Betrugs ab. Außerhalb der Gefängnismauern wäre es bei einer flüchtigen Bekanntschaft geblieben, doch ein Gefängnis ist eine Brutstätte für Freundschaften. Oft begleitete Dinath mich, wenn ich im Hof herumlief. Eines Tages fragte er mich, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er den Commanding Officer um Erlaubnis bäte, im Gefängnishospital in meiner Nähe sein zu können. Ich sagte ihm, das sei mir durchaus recht, dachte jedoch, die Behörde würde das niemals gestatten. Ich irrte mich.
Es war höchst merkwürdig, daß ein verurteilter Häftling wie Dinath die Erlaubnis erhielt, mit einem politischen Häftling zusammenzusein, der auf seinen Prozeß wartete. Doch ich sagte nichts, denn ich war froh, Gesellschaft zu haben. Dinath war wohlhabend, und er hatte die Gefängnisbehörden auf seiner Gehaltsliste. Als Gegenleistung für sein Geld erhielt er viele Privilegien: Er trug Kleidung, die für weiße Häftlinge bestimmt war, er aß ihre Kost, und er verrichtete keinerlei Gefängnisarbeit.
Eines Abends beobachtete ich verblüfft, wie Colonel Minnaar, der Leiter des Gefängnisses, und ein bekannter Afrikander-Advocate ihn abholten. Dinath verließ das Gefängnis über Nacht und kam erst am Morgen zurück. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte es nicht geglaubt.
Dinath erzählte genüßlich von finanziellen Schwindeleien und von Korruption unter Kabinettsmitgliedern, und das fand ich faszinierend. Er bezeichnete die Apartheid als Gift, das auf allen Gebieten moralische Fäulnis erzeuge. Sorgsam vermied ich es, mit ihm über irgendwelche Dinge politischer oder heikler Natur zu sprechen, da nicht auszuschließen war, daß er auch ein Spitzel war. Einmal bat er mich, ihm von meiner afrikanischen Reise zu erzählen, doch ich schilderte sie nur flüchtig. Im übrigen zog Dinath genügend Drähte, so daß er bereits nach vier Monaten entlassen wurde, statt erst nach zwei Jahren.
Flucht dient einem doppelten Zweck: Sie befreit den Freiheitskämpfer aus dem Gefängnis, so daß er den Kampf fortsetzen kann; und sie gibt dem Kampf einen gewaltigen psychologischen Auftrieb und ist ein großer Publizitätsvorteil gegenüber dem Feind. Als Gefangener dachte ich immer an Flucht, und wenn ich zum Büro des Commanding Officers ging oder von dort kam, betrachtete ich prüfend die Wände, beobachtete die Bewegungen der Wachen und merkte mir die Typen der Schlüssel und der Türschlösser. Ich verfertigte einen detaillierten Lageplan des Gefängnisgeländes mit besonderer Betonung der genauen Lage des Gefängnishospitals und der hinausführenden Tore. Dieser Plan wurde hinausgeschmuggelt, zu Händen meiner Bewegung, mit der Anweisung, ihn sofort zu vernichten, nachdem er genau studiert worden sei.
Es gab zwei Fluchtpläne, einen von Moosa Dinath ausgearbeiteten, den ich aber ignorierte; und einen zweiten, konzipiert vom ANC und mir durch Joe Slovo übermittelt. Zu ihm gehörten Bestechungen, nachgemachte Schlüssel und sogar ein falscher Bart, der in das Schulterpolster eines meiner Jacketts eingenäht werden sollte, das mir ins Gefängnis gebracht werden sollte. Die Idee war, ich solle den Bart nach geglückter Flucht anlegen. Nach sorgfältiger Überlegung kam ich zu dem Schluß, der Plan sei verfrüht und die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags unakzeptabel hoch. Ein solcher Fehlschlag wäre für die Organisation fatal. Bei einer Begegnung mit Joe steckte ich ihm einen Zettel mit meiner Beurteilung zu. Ich schrieb, der MK sei für eine solche Operation noch nicht bereit; selbst eine ausgebildete Elitetruppe würde eine solche Aktion wahrscheinlich nicht erfolgreich durchführen können. Ich schlug vor, das Unternehmen zu verschieben, bis ich verurteilt sei und die Behörden weniger auf der Hut wären. Zum Schluß schrieb ich: »Bitte vernichte dies nach dem Lesen.« Joe und die anderen akzeptierten meinen Rat, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, doch er beschloß, den Zettel als historisches Dokument aufzuheben. Später tauchte er dann zu einem höchst unglücklichen Zeitpunkt auf.
Das erste Hearing war für Montag, 15. Oktober 1962, angesetzt. Die Organisation hatte ein Free Mandela Committee gebildet und eine eindrucksvolle Kampagne mit dem Slogan
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