Der lange Weg zur Freiheit
Verhandlung eine Woche später wiederaufgenommen wurde, erhielt ich die Erlaubnis, zum Gericht zu sprechen, bevor ich aufgefordert wurde zu plädieren. »Ich hoffe, nachweisen zu können«, erklärte ich, »daß es in diesem Prozeß um die Forderungen der afrikanischen Völker geht, und ich habe es deshalb für richtig gehalten, meine Verteidigung selbst zu übernehmen.« Ich wollte dem Gericht, der Zuhörerschaft und der Presse klarmachen, daß es meine Absicht war, den Staat vor Gericht zu ziehen. Dann beantragte ich die Ablehnung des Magistrates mit der Begründung, ich fühlte mich moralisch nicht verpflichtet, mich Gesetzen zu beugen, die ein Parlament beschlossen hatte, in dem ich keine Vertretung hätte. Auch könne ich unmöglich von einem weißen Richter einen fairen Prozeß bekommen:
»Was ist der Grund, daß ich in diesem Gerichtssaal einem weißen Magistrate gegenüberstehe, einem weißen Ankläger, und von weißen Wärtern begleitet werde? Kann irgend jemand aufrichtig und ehrlich behaupten, daß in dieser Atmosphäre die Klage der Gerechtigkeit wirklich im Gleichgewicht ist? Warum hat in der Geschichte dieses Landes kein Afrikaner jemals die Ehre gehabt, von seinesgleichen, von seinem eigen Fleisch und Blut, vor Gericht gestellt zu werden? Ich will Euer Ehren den Grund sagen: Der eigentliche Zweck dieser rigiden Farbschranke besteht darin, sicherzustellen, daß die von Gerichten zuerkannte Gerechtigkeit der Politik des Landes entspricht, mag diese Politik auch noch so sehr im Widerspruch stehen zu den Normen der Gerechtigkeit, wie sie von den Machtsystemen in der gesamten zivilisierten Welt beachtet werden. Euer Ehren, ich hasse zutiefst rassische Diskriminierung in all ihren Manifestationen. Ich habe mein Leben lang dagegen gekämpft. Ich kämpfe immer noch dagegen, und ich werde es tun bis ans Ende meiner Tage. Am meisten verabscheue ich die Aufbauten, die mich hier umgeben. Sie geben mir das Gefühl, ein schwarzer Mann in eines weißen Mannes Gericht zu sein. Dies sollte nicht sein.«
Während des Prozesses rief der Ankläger über hundert Zeugen aus dem ganzen Land auf, auch aus der Transkei und Südwestafrika. Unter ihnen waren Polizisten, Journalisten, Township-Oberaufseher, Drucker. In den Aussagen der meisten ging es um technisches Beweismaterial, das belegen sollte, daß ich das Land illegal verlassen und afrikanische Arbeiter 1961 zum Streik während der dreitägigen Stay-at-Home-Kampagne aufgewiegelt hatte. Es ließ sich nicht bestreiten – und ich bestritt es in der Tat auch nicht –, daß ich technisch gesehen in beiden Anklagepunkten schuldig war.
Der Ankläger hatte auch Mr. Barnard geladen, den Privatsekretär des Premierministers, um über den Brief auszusagen, den ich dem Premier geschickt, um ihn aufzufordern, einen Nationalkonvent einzuberufen, andernfalls wir einen Dreitagestreik organisieren würden. Bevor ich Dr. Barnard ins Kreuzverhör nahm, las ich dem Gericht zunächst den besagten Brief vor, in dem ich einen Nationalkonvent für alle Südafrikaner forderte, der eine neue, nichtrassische Verfassung entwerfen solle.
Nelson Mandela (NM): »Haben Sie diesen Brief Ihrem Premierminister vorgelegt?«
Zeuge: »Ja.«
NM: »Hat der Premierminister den Brief beantwortet?«
Zeuge: »Er hat dem Brief Schreiber nicht geantwortet.«
NM: »Er hat den Brief nicht beantwortet. Nun, würden Sie zustimmen, daß in diesem Brief Fragen angesprochen werden, die für die überwältigende Mehrheit der Bürger dieses Landes von entscheidender Bedeutung sind?«
Zeuge: »Ich stimme nicht zu.«
NM: »Sie stimmen nicht zu? Stimmen Sie nicht zu, daß die Frage der Menschenrechte, der bürgerlichen Freiheiten eine Angelegenheit von lebenswichtiger Bedeutung für das afrikanische Volk ist?«
Zeuge: »Ja, das ist so, in der Tat.«
NM: »Werden diese Fragen hier erwähnt?«
Zeuge: »Ja, ich glaube schon.«
NM: »Sie haben bereits zugegeben, daß dieser Brief Fragen wie Menschenrechte, bürgerliche Freiheiten und so weiter aufwirft.«
Zeuge: »Ja, das tut der Brief.«
NM: »Nun, Sie wissen natürlich, daß Afrikaner die in diesem Brief geforderten Rechte nicht genießen? Diese Rechte werden ihnen von der Regierung vorenthalten.«
Zeuge: »Einige Rechte.«
NM: »Kein Afrikaner ist Mitglied des Parlaments?«
Zeuge: »Das ist richtig.«
NM: »Kein Afrikaner kann Mitglied des Provinzrats, des Stadtrats sein?« Zeuge: »Ja.«
NM: »Afrikaner haben kein Wahlrecht in diesem Land?«
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