Der lange Weg zur Freiheit
Gericht. Wir hatten alle das Gefühl, daß Richter de Wet uns gegenüber in der Zwischenzeit feindseliger geworden war. Wir vermuteten, seine zuvor bewiesene Unabhängigkeit habe ihm den Zorn der Regierung eingetragen und er sei unter Druck gesetzt worden. Die neuen Anklagen wurden verlesen: Angeblich hatten wir Personen zur Sabotage und zum Guerillakrieg angeworben, um eine gewaltsame Revolution anzuzetteln; angeblich hatten wir uns verschworen, ausländischen Militäreinheiten dabei zu helfen, in die Republik einzudringen, um eine kommunistische Revolution zu unterstützen; auch sollten wir für diesen Zweck von anderen Ländern Geldmittel erbeten und erhalten haben. Die Menge an Munition, welche die Angeklagten geordert hätten, erklärte Yutar melodramatisch, hätte genügt, ganz Johannesburg in die Luft zu sprengen.
Der Urkundsbeamte verlangte unsere Erklärung, ob wir schuldig oder unschuldig seien. Wir waren übereingekommen, uns nicht in traditioneller Weise zu erklären, sondern den Augenblick zu nutzen, um unsere Verachtung für das Verfahren zu zeigen.
»Angeklagter Nummer eins, Nelson Mandela, bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?«
Ich erhob mich und sagte: »My Lord, nicht ich, sondern die Regierung sollte auf der Anklagebank sitzen. Ich bekenne mich nicht schuldig.«
»Angeklagter Nummer zwei, Walter Sisulu, bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?«
Sisulu: »Die Regierung ist verantwortlich für das, was in diesem Land geschehen ist. Ich bekenne mich nicht schuldig.«
Richter de Wet erklärte, er sei nicht interessiert, politische Reden zu hören, vielmehr sollten wir uns nur schuldig oder nicht schuldig bekennen. Doch diese Aufforderung wurde ignoriert. Jeder Angeklagte erklärte, es sei die Regierung, die kriminell sei, ehe er sich für nicht schuldig erklärte.
Um die Dramatik des Verfahrens noch zu steigern, hatte der Staat eine Live-Übertragung von Yutars Rede im südafrikanischen Rundfunk arrangiert. Auf dem Tisch der Anklagevertretung wie auch vor dem des Richters waren Mikrophone installiert worden. Doch als Yutar sich gerade räusperte, erhob sich Bram Fischer und beantragte beim Gericht, die Mikrophone zu entfernen, mit der Begründung, die Übertragungen würden den Fall unfair präjudizieren und überdies die Würde des Gerichts beeinträchtigen. Obwohl Yutar mit schriller Stimme ihre Beibehaltung forderte, ordnete Richter de Wet ihre Entfernung an.
In seiner Rede argumentierte Yutar, daß seit der Zeit, da der ANC in den Untergrund gegangen sei, die Organisation eine Politik der Gewalt verfolgt habe, die von der Sabotage über den Guerillakrieg zur bewaffneten Invasion des Landes führen sollte. Er behauptete, wir hätten geplant, im ganzen Land Tausende von ausgebildeten Guerillaeinheiten aufzustellen, und diese Einheiten hätten die Speerspitze eines Aufstands bilden sollen, dem eine bewaffnete Invasion militärischer Einheiten einer ausländischen Macht hätte folgen sollen. »Inmitten des sich ergebenden Chaos, des Aufruhrs und Durcheinanders«, rief Yutar aus, »war von den Angeklagten geplant, eine provisorische Revolutionsregierung einzusetzen, um die Regierung und die Kontrolle des Landes zu übernehmen.« Motor dieses grandiosen Plans sei Umkhonto We Sizwe, unter der politischen Führung des ANC und der Kommunistischen Partei, und das Hauptquartier von Umkhonto sei Rivonia gewesen.
In seiner bombastischen Sprache beschrieb Yutar, wie wir Mitglieder für den MK rekrutiert, wie wir unseren nationalen Aufstand für 1963 geplant (hier verwechselte er uns mit dem PAC), wie wir auf Rivonia einen starken Rundfunksender errichtet hätten und wie wir kollektiv verantwortlich seien für 222 Sabotageakte. Er sagte, Elias Motsoaledi und Andrew Mlangeni hätten die Aufgabe gehabt, Mitglieder zu rekrutieren, und Dennis Goldberg habe am Kap eine Spezialschule für Rekruten betrieben. Detailliert beschrieb er die Produktion diverser Bomben und auch das Auftreiben von Geld im Ausland.
Während der nächsten drei Monate ließ die Staatsanwaltschaft 172 Zeugen aufmarschieren und als Beweismaterial Tausende von Dokumenten und Fotografien registrieren, darunter auch Standardwerke über Marxismus, Geschichten der Guerillakriegführung, Landkarten, Blaupausen und einen Paß, ausgestellt auf einen gewissen David Motsamayi. Der erste Zeuge war ein Polizeifotograf, der Aufnahmen von Rivonia gemacht hatte, und bei den nächsten Zeugen handelte es sich um Hausangestellte der
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