Der lange Weg zur Freiheit
fotografierte sie, wenn sie das Gericht verließen. Im Gerichtssaal drängten sich einheimische und internationale Journalisten und Dutzende von Vertretern ausländischer Regierungen.
Nachdem wir eingetreten waren, bildete eine Gruppe von Polizisten einen dichten Kordon zwischen uns und den Zuschauern. Ich fand es abstoßend, vor Gericht in meiner Gefängniskleidung aus Khaki-Shorts und abgenutzten Sandalen erscheinen zu müssen. Als verurteilter Gefangener hatte ich nicht die Wahl, angemessene Kleidung zu tragen. Viele Leute erklärten später, ich hätte erbärmlich ausgesehen, und das nicht nur wegen meiner Kleidung. Ich war seit Monaten nicht nur in Haft, sondern oft genug in Einzelhaft gewesen und hatte über 20 Pfund abgenommen. Als ich den Gerichtssaal betrat, gab ich mir große Mühe, zur Zuschauergalerie zu lächeln, und der Anblick unserer Anhänger war die beste Medizin, die mir zuteil werden konnte.
Die Sicherheitsmaßnahmen waren besonders streng, da erst wenige Wochen zuvor Arthur Goldreich, Harold Wolpe, Mosie Moola und Abdulhay Jassat einen jungen Wächter bestochen hatten und aus dem Gefängnis entkommen waren. Beiden gelang es, als Priester verkleidet nach Swaziland zu gelangen; von dort flohen sie weiter nach Tanganjika. Ihre Flucht fiel in eine Zeit hysterischer Reaktionen auf den Untergrund und wurde von knalligen Schlagzeilen in der Presse begleitet. Für die Regierung war es blamabel, für unsere Moral ein gewaltiger Auftrieb.
Unser Richter im Rivonia-Prozeß war Mr. Quartus de Wet, Gerichtspräsident von Transvaal, der in seinen wallenden roten Roben unter einem hölzernen Baldachin saß. De Wet war einer der letzten Richter, den noch die United Party eingesetzt hatte, bevor die Nationalisten an die Macht gekommen waren, und er galt nicht als Lakai der Regierung. Der Richter trug ein unbewegtes Gesicht zur Schau und ließ sich nicht gern zum Narren halten. Anklagevertreter war Dr. Percy Yutar, stellvertretender Generalstaatsanwalt von Transvaal, dessen Ehrgeiz es war, Justizminister von Südafrika zu werden. Er war ein kleiner, kahlköpfiger, lebhafter Mann, dessen Stimme schrill wurde, wenn er wütend oder aufgeregt war. Er neigte zu dramatischen Gesten und zu einer hochtrabenden, wenngleich ungenauen Sprache.
Yutar erhob sich und erklärte dem Gericht: »My Lord, ich rufe den Fall des Staates gegen das National High Command und andere auf.« Ich war der Angeklagte Nummer eins. Yutar überreichte die Anklageschrift und war einverstanden, daß uns gemeinsam der Prozeß gemacht werde. Wir erhielten zum erstenmal eine Kopie der Anklageschrift. Die Anklagevertretung hatte sie uns vorenthalten, jedoch ein Exemplar der Rand Daily Mail zugespielt, die ihre Ausgabe an diesem Tag damit bestritten hatte. Die Anklageschrift beschuldigte elf von uns der Komplizenschaft bei über 200 Sabotageakten, die eine gewaltsame Revolution und eine bewaffnete Invasion des Landes hätten ermöglichen sollen. Laut Staatsanwaltschaft waren wir Akteure einer Verschwörung zum Sturz der Regierung.
Wir wurden der Sabotage und der Verschwörung angeklagt und nicht des Hochverrats, weil das Gesetz bei Hochverrat eine lange Voruntersuchung verlangt (für die Verteidigung sehr günstig), nicht hingegen bei Sabotage und Verschwörung. Dennoch ist die Höchststrafe – Tod durch Erhängen – die gleiche. Bei Hochverrat muß der Staat seine Beschuldigung beweisen, über jeden vernünftigen Zweifel hinaus, und er benötigt für jeden Anklagepunkt zwei Zeugen. Nach dem Sabotagegesetz mußte die Verteidigung beweisen, daß der Angeklagte unschuldig war.
Bram Fischer erhob sich und ersuchte das Gericht um eine Vertagung, die er damit begründete, daß die Verteidigung noch keine Zeit gehabt habe, sich auf den Fall vorzubereiten. Er erklärte, eine Anzahl der Angeklagten sei seit unzumutbar langer Zeit in Einzelhaft gehalten worden. Der Staat habe sich seit drei Monaten vorbereiten können, wir dagegen hätten die Anklageschrift erst an diesem Tage erhalten. Richter de Wet gewährte uns eine dreiwöchige Vertagung bis zum 29. Oktober.
Ich war darüber beunruhigt, daß Winnie an diesem ersten Tag nicht hatte im Gericht sein können. Wegen ihrer Bannung und ihrer Beschränkung auf Johannesburg brauchte sie eine polizeiliche Genehmigung zum Besuch des Gerichts. Ihr Antrag war jedoch abgelehnt worden. Ich erfuhr außerdem, daß unser Haus durchsucht worden war und die Polizei einen jungen Verwandten von Winnie verhaftet hatte.
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