Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
Vom Netzwerk:
Dokumente lag allerdings offen auf dem Tisch: »Operation Mayibuye«, ein Plan zur Guerillakriegführung in Südafrika. Mit einem Schlag hatte die Polizei das ganze Oberkommando von Umkhonto We Sizwe gefaßt. Alle wurden inhaftiert nach dem neuen 90-Tage-Haft-Gesetz.
    Joe Slovo und Bram Fischer waren glücklicherweise zum Zeitpunkt der Razzia nicht anwesend. Doch sie fuhren oft zwei- oder dreimal pro Tag zur Farm, und im Rückblick ist es unglaublich, daß Liliesleaf nicht früher entdeckt wurde. Das Regime war rigider und raffinierter geworden. Angezapfte Telefone waren genauso üblich geworden wie die Rund-um-die-Uhr-Überwachung. Die Razzia war für den Staat ein Volltreffer.
     
     
    An unserem ersten Tag vor Gericht bekamen wir keine Gelegenheit, mit unseren Anwälten zu sprechen. Wir wurden einem Magistrate vorgeführt und der Sabotage angeklagt. Einige Tage später durften wir uns mit Bram, Vernon Berrange, Joe Joffe, George Bizos und Arthur Chaskalson treffen, die uns alle vertraten. Ich wurde nach wie vor getrennt gehalten, da ich ein verurteilter Häftling war; diese Sitzungen waren für mich die erste Gelegenheit, mit meinen Kollegen zu sprechen.
    Bram wirkte sehr düster. Mit seiner ruhigen Stimme erklärte er, uns erwarte ein äußerst gravierender Prozeß, und der Staat habe ihm formell mitgeteilt, man werde die gesetzliche Höchststrafe fordern, die Todesstrafe. Angesichts des gegenwärtig herrschenden Klimas, meinte Bram, sei ein solches Urteil eine höchst reale Möglichkeit. Von diesem Augenblick an lebten wir im Schatten des Galgens. Die bloße Möglichkeit eines Todesurteils verändert alles. Von Anfang an hielten wir es für den wahrscheinlichsten Ausgang des Prozesses. Kurz zuvor waren weit geringere Verbrechen als unsere mit lebenslänglichen Gefängnisstrafen geahndet worden.
    Gefängnisbeamte lassen einen niemals vergessen, daß man gehängt werden könnte. In jener Nacht klopfte zur Schlafenszeit ein Wärter an die Tür meiner Zelle. »Mandela, du brauchst dir wegen deines Schlafs keine Sorgen mehr zu machen«, sagte er. »Du wirst lange, lange schlafen.« Ich wartete einen Augenblick und erklärte dann: »Wir alle, auch du, werden lange, sehr lange schlafen.« Das war ein kleiner Trost.
     
     
    Am 9. Oktober 1963 wurden wir in einem dick gepanzerten Polizeifahrzeug abgeholt. Quer durch die Mitte des Fahrzeuginneren verlief eine Art stählerner Trennwand, welche die weißen von den afrikanischen Gefangenen trennte. Wir wurden zum Justizpalast in Pretoria, dem Sitz des Obersten Gerichts, gefahren, zur Eröffnung des Prozesses mit der Bezeichnung »The State versus the national High Command and others«, später genannt »The State versus Nelson Mandela and others«, und noch besser bekannt als Rivonia-Prozeß. Nahe dem Gerichtsgebäude steht das Standbild von Paul Kruger, dem Präsidenten der Republik Transvaal, der im 19. Jahrhundert gegen den britischen Imperialismus kämpfte. Unter diesem Afrikander-Helden ist ein Zitat aus einer seiner Reden angebracht. Die Inschrift lautet: »Voll Vertrauen legen wir unsere Sache der ganzen Welt zu Füßen. Ob wir siegen oder ob wir sterben, die Freiheit wird sich in Afrika erheben wie die Sonne aus den Morgenwolken.«
    Unser Fahrzeug fuhr in der Mitte eines Konvois von Polizeiwagen. An der Spitze der Autokolonne fuhr eine Limousine mit hohen Polizeibeamten. Im Justizpalast wimmelte es von bewaffneten Polizisten. Um der riesigen Menge unserer Anhänger aus dem Wege zu gehen, die sich vor dem Gebäude versammelt hatte, wurden wir hinter das Gebäude gefahren und durch große Eisentore eingelassen. Rings um das Gebäude standen Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag. Als wir aus dem Transporter stiegen, hörten wir die Gesänge der Menschenmenge. Im Gebäude sperrte man uns in Zellen unterhalb des Gerichtssaals bis zur Eröffnung des Prozesses, den Zeitungen in Südafrika und überall in der Welt als bedeutendsten politischen Prozeß in der Geschichte Südafrikas bezeichneten.
     
     
    Als wir aus den Zellen traten, wurde jeder der Angeklagten von zwei bewaffneten Wärtern begleitet. Und als wir den hohen, schmuckvollen Gerichtssaal betraten, wandte sich jeder von uns mit geballter Faust, dem ANC-Gruß, der Menge zu. Auf der Besuchergalerie riefen unsere Anhänger: »Amandea Ngawethu« und »Mayibuye Afrika!« Dies war ermutigend, aber auch gefährlich: Die Polizei notierte sich Namen und Adressen sämtlicher Besucher auf den Zuschauergalerien und

Weitere Kostenlose Bücher