Der lange Weg zur Freiheit
war ein weißer Südafrikaner, ein Geschöpf des südafrikanischen Systems und der südafrikanischen Mentalität. Er war nicht gewillt, gegen das Glaubenssystem anzugehen, das ihn geformt hatte. Er hatte dem Druck nachgegeben, indem er uns zum Leben verurteilte, und ihm widerstanden, indem er uns nicht den Tod gab.
Die Urteile de Wets im Falle von Kathrada, Motsoaledi und Mlangeni überraschten mich, und sie mißfielen mir. Ich hatte erwartet, daß er Kathy freisprechen und Elias und Andrew mit milderen Strafen bedenken würde. Beide waren vergleichsweise neue Mitglieder des MK, und ihre Straftaten konnten zusammengenommen kaum verglichen werden mit denen der übrigen von uns. Unser Verzicht auf Berufung würde Kathy, Andrew und Elias der Möglichkeit berauben, vor dem Appellationsgericht günstigere Strafen zu bekommen.
An jenem Abend, bevor im Pretoria Local das Licht ausging, hallte das Gefängnis wider von den Freiheitsliedern afrikanischer Gefangener. Auch wir sangen mit in diesem großen, anschwellenden Chor. Doch jeden Abend, Sekunden bevor das Licht abgedunkelt wurde, hörte wie aus Gehorsam gegenüber einem geheimen Befehl das Summen der Stimmen auf, und im ganzen Gefängnis wurde es still. Dann schrien Männer von einem Dutzend Orten im Gefängnis »Amandla!« Als Antwort riefen Hunderte von Stimmen »Ngawethu!« Oft begannen wir selbst dieses Wechselspiel von Ruf und Antwort, doch in jener Nacht ergriffen andere namenlose Gefangene die Initiative, und die Stimmen von überallher erschienen außergewöhnlich stark, als wollten sie uns stählen für das, was vor uns lag.
8. Teil
Robben Island: Die schwarzen Jahre
Um Mitternacht war ich wach und starrte zur Zellendecke – Bilder aus dem Prozeß wirbelten noch immer im Kopf herum –, als ich hörte, wie Schritte den Gang heraufkamen. Ich war in meine Zelle eingeschlossen, abseits von den anderen. Es klopfte an meine Tür, und ich konnte am Zellengitter das Gesicht von Colonel Aucamp sehen. »Mandela«, flüsterte er rauh, »sind Sie wach?«
Ich bejahte. »Sie sind ein glücklicher Mann«, sagte er. »Wir bringen Sie an einen Ort, wo Sie Ihre Freiheit haben werden. Dort werden Sie sich bewegen können. Sie werden den Ozean und den Himmel sehen, nicht nur graue Mauern.«
Er meinte es nicht sarkastisch, doch ich wußte, daß der Ort, den er meinte, mir kaum die Freiheit bieten würde, die ich ersehnte. Ziemlich geheimnisvoll fügte er hinzu: »Solange Sie keinen Ärger machen, werden Sie alles bekommen, was Sie wollen.«
Dann weckte Aucamp die anderen, die alle in einer einzigen Zelle untergebracht waren, und befahl ihnen, sie sollten ihre Sachen packen. Eine Viertelstunde später gingen wir durch das Eisenlabyrinth von Pretoria Local, in den Ohren das Echo der unablässig knallenden Metalltüren.
Draußen legte man uns sieben – Walter, Raymond, Govan, Kathy, Andrew, Elias und mir – Handschellen an und ließ uns in ein Polizeifahrzeug steigen. Es war inzwischen weit nach Mitternacht, doch keiner von uns war müde, und die Atmosphäre war durchaus nicht düster. Wir saßen auf dem staubigen Fahrzeugboden, singend und summend, und durchlebten noch einmal die Augenblicke am Ende des Prozesses. Die Wärter versorgten uns mit Sandwiches und kalten Getränken, und Lieutenant Van Wyck hockte hinten im Wagen mit uns zusammen. Er war ein angenehmer Mensch, und als wir einmal unseren Gesang einstellten, gab er ungefragt seine Meinung über unsere Zukunft zum besten. »Wißt ihr«, sagte er, »ihr Jungs werdet nicht lange im Gefängnis sein. Die Forderungen nach eurer Freilassung machen zuviel Druck. In ein oder zwei Jahren werdet ihr rauskommen und als Nationalhelden heimkehren. Menschenmengen werden euch zujubeln, alle werden eure Freunde sein wollen, Frauen werden euch haben wollen. Ja, ihr Jungs habt’s geschafft.« Wir hörten schweigend zu, doch ich gestehe, daß seine Worte mich richtig aufmunterten. Unglücklicherweise lag er mit seiner Voraussage nahezu drei Jahrzehnte daneben.
Still und heimlich, in Begleitung einer schweren Polizeieskorte, fuhren wir mitten in der Nacht los und erreichten in weniger als einer halben Stunde einen kleinen Militärflugplatz außerhalb der Stadt. Wir wurden in eine Dakota gedrängt, in ein großes Militärtransportflugzeug, das auch bessere Tage gesehen hatte. Heizung war nicht vorhanden, und wir zitterten im Bauch der Maschine vor Kälte. Einige von uns waren noch nie geflogen, und sie schienen
Weitere Kostenlose Bücher