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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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praktizierender Anwalt sein würde, doch ich wollte nicht über eine Alternative nachdenken. Ich bestand die Examen.
     
     
    Am Donnerstag, 11. Juni, waren wir zur Urteilsverkündung im Justizpalast versammelt. Wir wußten, daß es für wenigstens sechs von uns ein Schuldig geben konnte. Die Frage war nur das Strafmaß.
    De Wet kam sofort zur Sache. Er sprach leise und schnell. »Ich habe die Gründe für die Schlußfolgerungen, zu denen ich gekommen bin, schriftlich festgehalten. Ich beabsichtigte nicht, sie zu verlesen.«
    »Der Angeklagte Nummer 1 ist in allen vier Punkten für schuldig befunden worden. Der Angeklagte Nummer 2 ist in allen vier Punkten für schuldig befunden worden. Der Angeklagte Nummer 3 ist in allen vier Punkten für schuldig befunden worden.«
    De Wet sprach jeden der Hauptbeschuldigten in allen Punkten für schuldig. Kathy wurde nur in einem Punkt für schuldig befunden, und Rusty wurde für nicht schuldig befunden und freigesprochen.
    »Ich beabsichtige nicht, mich bereits heute mit der Frage des Strafmaßes zu befassen«, erklärte de Wet. »Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung werden morgen um zehn Uhr Gelegenheit zu jeder gewünschten Einlassung haben.« Das Gericht vertagte sich anschließend.
    Wir hatten gehofft, Kathy und Mhlaba würden mit einem Freispruch davonkommen, doch es war ein weiteres Zeichen dafür, falls es eines solchen bedurfte, daß der Staat eine harte Linie verfolgte. Wenn das Gericht Mhlaba mit wenig Beweismaterial in allen vier Punkten verurteilen konnte, würde die Todesstrafe dann nicht jenen von uns drohen, gegen die überwältigende Beweise vorlagen?
    An jenem Abend informierten Walter, Govan und ich nach Absprache unter uns die Anwälte, daß wir, ganz gleich, welche Strafe wir erhalten würden, und sei es auch die Todesstrafe, keine Berufung einlegen wollten. Unsere Entscheidung verblüffte unsere Anwälte. Walter, Govan und ich glaubten, eine Berufung werde den moralischen Standpunkt, den wir eingenommen hatten, untergraben. Wir hatten uns von Anfang an dazu bekannt, daß wir das, was wir getan hatten, voll Stolz getan und aus moralischen Gründen getan hätten. Wir wollten durch eine Berufung nicht einen anderen Eindruck erwecken. Sollte ein Todesurteil ergehen, wollten wir keinesfalls die Massenkampagne behindern, die sicher sofort eingeleitet würde. Im Licht der kühnen, trotzigen Haltung, die wir eingenommen hatten, würde eine Berufung entschärfend und sogar desillusionierend wirken. Unsere Botschaft war: für den Kampf um Freiheit ist kein Opfer zu groß.
    Die Anwälte waren über unsere Entscheidung nicht glücklich und wollten über eine Berufung reden. Doch Walter, Govan und ich wollten über die Regeln der Urteilsverkündung am nächsten Tag sprechen. Würden wir zum Tode verurteilt, was würde dann geschehen? Uns wurde erklärt, daß de Wet nach Verkündigung des Todesurteils mich als den ersten Angeklagten fragen würde: »Haben Sie Gründe vorzubringen, warum das Todesurteil nicht ergehen sollte?« Ich erklärte Bram, Joel und Vernon, in einem solchen Falle hätte ich eine ganze Menge zu sagen. Ich würde de Wet erklären, ich sei bereit zu sterben in der Gewißheit, daß mein Tod der Sache, für die ich mein Leben gebe, von Nutzen sein werde. Mein Tod, unsere Tode würden nicht umsonst sein. Wir könnten der Sache mehr dienen durch unseren Tod als Märtyrer, als wir es je im Leben könnten. Die Anwälte erklärten, eine solche Rede würde für eine Berufung nicht gerade hilfreich sein, und ich bestätigte erneut, daß wir keine Berufung einlegen würden.
    Selbst wenn wir nicht die Todesstrafe erhielten, gäbe es praktische Gründe, nicht in die Berufung zu gehen. So könnten wir ja verlieren. Das Appellationsgericht könnte zu der Entscheidung kommen, de Wet sei zu nachsichtig gewesen und wir verdienten die Todesstrafe. Eine Berufung könnte auch auf den internationalen Druck, uns freizulassen, mildernd wirken.
    Für den Staat wäre ein Todesurteil die praktischste Lösung. Wir hatten gehört, Justizminister John Vorster habe Freunden erzählt, Premierminister Smuts’ größter Fehler während des Zweiten Weltkrieges sei gewesen, ihn nicht wegen Hochverrats gehängt zu haben. Die Nationalisten würden nicht den gleichen Fehler begehen.
    Ich war auf die Todesstrafe vorbereitet. Um wirklich auf etwas vorbereitet zu sein, muß man es tatsächlich erwarten. Man kann sich nicht auf etwas vorbereiten, während man insgeheim glaubt, es werde

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