Der lange Weg zur Freiheit
sich mehr über unseren Flug als über unseren Bestimmungsort zu sorgen. In einer Höhe von etwa 5000 Metern mächtig durchgeschüttelt zu werden erschien weitaus gefährlicher, als in einer Zelle hinter hohen Mauern eingesperrt zu werden.
Nach etwa einer Flugstunde breitete sich über die unter uns liegende Landschaft die Morgendämmerung aus. Sobald im Halbdämmer etwas zu erkennen war, preßten meine Kameraden ihre Gesichter gegen die kleinen runden Fenster. Wir flogen in südöstlicher Richtung, über die trockenen, flachen Ebenen des Oranje-Freistaats und die grüne, gebirgige Halbinsel des Kap. Auch ich lugte durch ein Fenster, doch betrachtete ich die Landschaft nicht mit den Augen eines Touristen, sondern mit denen eines Strategen, der nach Gegenden Ausschau hielt, in denen sich eine Guerilla-Armee verstecken konnte.
Seit der Bildung des MK war immer wieder erörtert worden, ob Südafrika überhaupt geeignetes Gelände für eine Guerilla-Armee besitze. Die meisten Mitglieder des Oberkommandos glaubten es nicht. Als wir über ein bewaldetes Bergland, den Matroosberg am Kap, flogen, rief ich meinen Gefährten zu, dort, auf dem Gelände könnten wir kämpfen. Die Männer wurden ganz aufgeregt und suchten einen noch besseren Blick zu erhaschen, und in der Tat, das dichtbewaldete Gelände machte den Eindruck, als könne es einer entstehenden Guerillastreitmacht Schutz bieten.
Minuten später näherten wir uns den Außenbezirken von Kapstadt. Bald konnten wir die kleinen, Streichholzschachteln ähnelnden Häuser der Cape Fiats erkennen, die blinkenden Gebäudetürme der Innenstadt und die flache Hochebene des Tafelbergs. Dann erkannten wir draußen in der Table Bay die dunstigen Umrisse von Robben Island.
Wir landeten auf einem Flugplatz an einem Ende der Insel. Es war ein rauher wolkenreicher Tag, und als ich aus dem Flugzeug stieg, peitschte der kalte Winterwind gegen unsere dünne Gefängniskleidung. Wachen mit automatischen Waffen empfingen uns; die Atmosphäre war gespannt, jedoch ruhig, ganz anders als der lautstarke Empfang, den ich zwei Jahre zuvor bei meiner Ankunft auf der Insel erlebt hatte.
Wir wurden zu dem alten Gefängnis gefahren, einem allein stehenden Steingebäude, wo wir uns ausziehen mußten, während wir noch draußen standen. Eine der rituellen Demütigungen des Gefängnislebens besteht darin, daß der Häftling nach der Verlegung von einem Gefängnis in ein anderes als erstes die alte Gefängniskleidung gegen die neue auszutauschen hat. Als wir uns ausgezogen hatten, warf man uns die schlichten Khakiuniformen von Robben Island zu.
Die Vorschriften der Apartheid erstreckten sich sogar auf die Kleidung. Mit Ausnahme von Kathy erhielten wir alle kurze Hosen, ein dünnes Unterhemd und eine Drillichjacke. Kathy, der einzige Inder unter uns, erhielt lange Hosen. Normalerweise bekommen Afrikaner aus Autoreifen gefertigte Sandalen, doch hier erhielten wir richtige Schuhe. Kathy bekam als einziger Socken. Kurze Hosen sollten Afrikaner daran erinnern, daß sie »Boys« waren. Ich zog mir an diesem Tag die kurze Hose an, gelobte mir aber, mich nicht lange damit zu begnügen.
Die Wärter deuteten mit ihren Waffen an, wohin wir gehen sollten, und ihre Befehle beschränkten sich jeweils auf einzelne Worte: »Bewegen!«
»Ruhe!«
»Halt!« Sie bedrohten uns nicht auf jene großspurige Art, an die ich mich von meinem früheren Aufenthalt erinnerte, und sie zeigten keine Emotionen.
Das alte Gefängnis war für uns nur ein Übergangsquartier. Inzwischen war der völlig separate Hochsicherheitsbau für politische Gefangene fast fertiggestellt. Während wir dort untergebracht waren, durften wir nicht ins Freie gehen oder mit anderen Gefangenen Kontakt aufnehmen.
Am vierten Morgen wurden uns Handschellen angelegt, und wir wurden in einem überdachten Lastfahrzeug zu einem Gefängnis innerhalb eines Gefängnisses gebracht. Dieses neue Gebäude war eine einstöckige, rechteckige Festung mit einem flachen, gepflasterten Hof von etwa dreißig mal zehn Metern in der Mitte. Auf drei der vier Seiten lagen Zellen. Die vierte Seite bestand aus einer rund sieben Meter hohen Mauer mit einem Laufgang, auf dem Wachen mit deutschen Schäferhunden patrouillierten.
Die drei Reihen von Zellen wurden als Abschnitte A, B und C bezeichnet, und man legte uns in Abschnitt B an der östlichsten Seite des Rechtecks. Wir erhielten Einzelzellen zu beiden Seiten des Ganges, von denen die Hälfte zum Hof hin lag.
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