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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Hochverrats. Der Staat hat beschlossen, das Verbrechen nicht in dieser Form zur Anklage zu erheben. Angesichts dieser Tatsache und nach reiflicher Überlegung habe ich entschieden, nicht die Höchststrafe zu verhängen, die in einem Fall wie diesem für gewöhnlich die angemessene Strafe wäre, doch in Übereinstimmung mit meiner Pflicht ist das die einzige Milde, die ich walten lassen kann. Das Urteil für alle Angeklagten wird auf lebenslängliches Gefängnis lauten.«
    Wir sahen einander an und lächelten. Als de Wet verkündete, er werde uns nicht zum Tode verurteilen, war im Saal ein großes allgemeines Aufatmen zu hören. Aber es herrschte auch einige Verwirrung, da manche Zuhörer de Wets Urteil nicht hatten verstehen können. Dennis Goldbergs Frau rief ihm zu: »Dennis, was ist es?«
    »Leben«, rief er mit einem Grinsen zurück. »Leben! Zu leben!«
    Ich drehte mich um und lächelte breit zur Zuschauergalerie hinauf, suchte Winnies Gesicht und das meiner Mutter, doch im Gericht ging es äußerst chaotisch zu. Menschen riefen, die Polizei schob die Menge bald in diese, bald in jene Richtung. Ich konnte ihre Gesichter nicht sehen. Ich reckte den Daumen zum ANC-Gruß in die Höhe, während viele Besucher nach draußen stürzten, um der wartenden Menge das Urteil mitzuteilen. Unsere Polizeiwachen drängten uns von der Anklagebank und auf die Tür zu, die nach unten führte, und obwohl ich noch immer nach Winnies Gesicht suchte, konnte ich es erst sehen, als ich mich durch die Tür duckte, die nach unten zu den Zellen führte.
     
     
    In den Zellen unter dem Gerichtsgebäude blieben wir in Handschellen. Die Polizei war wegen der Menge draußen überaus nervös. Über eine halbe Stunde behielten sie uns im Untergeschoß, in der Hoffnung, die Menge werde sich zerstreuen. Wir wurden durch den hinteren Teil des Gebäudes geführt und bestiegen das schwarze Fahrzeug. Wir konnten die uns begleitende Motorradeskorte aufheulen hören. Um der Menge aus dem Wege zu gehen, nahm das Fahrzeug einen anderen Weg, aber dennoch konnten wir hören, wie die Menge »Amandea!« rief, und wir hörten die langsamen, schönen Rhythmen von »Nkosi Sikelel’ iAfrika!« Durch das Fenstergitter streckten wir unsere geballten Fäuste und hofften, die Menschenmenge könne uns erkennen.
    Alle waren wir nun verurteilte Gefangene. Von Dennis Goldberg wurden wir getrennt, weil er weiß war und in eine andere Institution gebracht wurde. Wir anderen wurden im Pretoria-Local-Gefängnis in Zellen gesteckt, abseits aller anderen Gefangenen. Statt Rufe und Lieder hörten wir jetzt nur noch das Zuschlagen von Türen und Toren.
    Als ich in jener Nacht auf meiner Matte auf dem Zellenfußboden lag, ließ ich mir die Gründe für de Wets Entscheidung durch den Kopf gehen. Zweifellos lasteten die Demonstrationen in ganz Südafrika und der internationale Druck auf ihm. Internationale Gewerkschaften hatten gegen den Prozeß protestiert. Gewerkschaften von Schauerleuten auf der ganzen Welt drohten damit, keine südafrikanischen Waren mehr zu entladen. Der russische Präsident Breschnew schrieb an Dr. Verwoerd und bat um Nachsicht. Amerikanische Kongreß-Mitglieder protestierten. 50 Mitglieder des britischen Parlaments hatten einen Marsch durch London veranstaltet. Alex Douglas-Home, der britische Außenminister, bemühte sich angeblich in vertraulichen Verhandlungen um Hilfe für unsere Sache. Adlai Stevenson, der amerikanische UN-Botschafter, erklärte in einem Brief, seine Regierung werde alles tun, um ein Todesurteil zu verhindern.
    Ich dachte mir, daß es für de Wet, sobald er akzeptiert hatte, daß wir keinen Guerillakrieg angefangen hatten und daß ANC und MK separate Einheiten waren, schwierig gewesen wäre, die Todesstrafe zu verhängen; sie wäre exzessiv erschienen.
    Verwoerd erklärte dem Parlament, das Urteil sei durch Protesttelegramme und andere Bekundungen aus aller Welt nicht beeinflußt worden. Und er prahlte, Telegramme aus sozialistischen Ländern habe er gleich in den Abfallkorb gegeben.
    Gegen Ende des Verfahrens hatte Richter de Wet beiläufig gegenüber Bram Fischer bemerkt, die Verteidigung habe in diesem Fall einen großen Teil der weltweiten Propaganda ausgelöst. Vielleicht war dies seine einzig mögliche Art, den Druck zuzugeben. Er wußte, wenn wir hingerichtet würden, hätte die große Mehrheit der Menschen ihn als unseren Mörder angesehen.
    Aber noch größeren Druck hatte er von seiten seiner eigenen Leute zu ertragen. Er

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