Der lange Weg zur Freiheit
Themen handeln. Bei allen Gottesdiensten waren Aufseher anwesend, und wenn ein Geistlicher von der Religion abschweifte, wurde er kein zweites Mal eingeladen.
In den ersten beiden Jahren auf der Insel durften wir unsere Zellen für den Sonntagsgottesdienst nicht verlassen. Der Geistliche predigte an der Stirnseite des Korridors. Im dritten Jahr wurden die Gottesdienste auf dem Hof abgehalten, und das fanden wir besser. In diesen Jahren war es sonntags die einzige Zeit, in der wir uns im Hof aufhalten durften, abgesehen von unserer halbstündigen Gymnastik. Von unseren Leuten waren nur wenige religiös, aber die langen Predigten machten niemandem etwas aus; wir genossen es, an der frischen Luft zu sein.
Nachdem die Gottesdienste draußen stattfanden, stellte man uns die Teilnahme frei. Manche Männer gingen nur zu Geistlichen ihrer eigenen Konfession. Ich selbst bin Methodist, aber ich nahm auch an den Gottesdiensten aller anderen Bekenntnisse teil.
Einer unserer ersten Prediger war ein anglikanischer Priester namens Pater Hughes, ein mürrischer, stämmiger Waliser, der im Zweiten Weltkrieg als Kaplan beim U-Boot-Korps gewesen war. Als er zum erstenmal kam, störte es ihn, daß er auf dem Korridor predigen sollte, denn das schadete nach seiner Ansicht der Versenkung in Gott. Beim ersten Besuch predigte er nicht, sondern er zitierte mit seiner schönen Baritonstimme Winston Churchills Rundfunkansprachen aus dem Krieg: »Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden auf den Landebahnen kämpfen, wir werden auf den Feldern und Straßen kämpfen, wir werden zwischen den Hügeln kämpfen; niemals werden wir uns unterwerfen.«
Bald darauf sprach Pater Hughes auf dem Hof zu uns, und wir fanden seine Predigten glänzend. Er legte Wert darauf, in seine Worte unauffällig kleine Nachrichten einzubauen, und das wußten wir zu schätzen. So sagte er zu Beispiel, der Premierminister von Südafrika stelle wie der ägyptische Pharao eine Armee auf. Am Ende des Gottesdienstes ließ er immer Kirchenlieder ertönen, und nach meiner Überzeugung besuchte Pater Hughes uns nur deshalb so häufig, weil er uns gern singen hörte. Er brachte eine tragbare Orgel mit und spielte für uns. Außerdem lobte er unseren Gesang und sagte, es sei der einzige, der mit den Chören in seiner walisischen Heimat mithalten könne.
Der methodistische Geistliche war Reverend Jones, ein nervöser, schwermütiger Bursche, der im Kongo gewirkt hatte, während dort die Revolution stattfand. Was er dort erlebt hatte, schien der Grund seiner Melancholie zu sein. Immer wieder predigte er, wie wichtig die Versöhnung sei, und damit deutete er an, daß wir es waren, die sich mit den Weißen versöhnen sollten.
An einem Sonntag bemerkte ich während der einseitigen Rede des Geistlichen, wie Eddie Daniels unbehaglich von einem Bein auf das andere trat. Schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Sie predigen den falschen Leuten die Versöhnung«, rief Eddie aus. »Wir bemühen uns seit Jahren um Versöhnung.« Das reichte dem Reverend Jones. Wir sahen ihn nie wieder.
Jones war nicht der einzige Geistliche, den Eddie hinausekelte. Einmal besuchte uns ein farbiger Prediger namens Bruder September. Eines Sonntags meldete sich der Häftling Hennie Ferris, ein überzeugender Redner, freiwillig als Vorbeter. Bruder September freute sich über soviel Frömmigkeit. Hennie begann mit erhabenen Worten zu sprechen, und an einer Stelle bat er die Versammelten, die Augen zu schließen und zu beten. Dieser Aufforderung kamen alle nach, auch Bruder September. Daraufhin schlich Eddie auf Zehenspitzen nach vorn, öffnete Bruder Septembers Aktentasche und nahm die Sunday Times vom gleichen Tag heraus. Damals hatte niemand irgendeinen Verdacht, aber Bruder September brachte nie wieder Zeitungen.
Reverend Andre Scheffer war Geistlicher der niederländischreformierten Missionskirche in Afrika, einer Schwesterinstitution der niederländischen reformierten Kirche, der fast alle Afrikander angehörten. Die Missionskirche kümmerte sich ausschließlich um Afrikaner. Reverend Scheffer war ein bärbeißiger, konservativer Kerl, der gewöhnlich vor den allgemeinen Gefangenen predigte. Eines Sonntags kam er in unseren Block herüber, und wir fragten ihn, warum er bei uns keine Gottesdienste hielt. »Ihr haltet euch für Freiheitskämpfer«, erwiderte er geringschätzig. »Ihr müßt betrunken oder voller Dagga (Marihuana) gewesen sein, als man euch festgenommen hat.
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