Der lange Weg zur Freiheit
Schlüssel besorgen, damit ich aus unserem Block herauskommen und zu dem Boot gehen konnte. Dort würde man mich mit einer Tauchausrüstung versehen, mit der ich in den Hafen von Kapstadt schwimmen sollte, und von Kapstadt aus wollte man mich zu einem kleinen Flugplatz bringen und außer Landes fliegen.
Ich hörte mir den ganzen Plan an, aber ich teilte ihm nicht mit, wie hergeholt und unzuverlässig er klang. Ich beriet mich mit Walter, und wir waren übereinstimmend der Ansicht, daß man dem Burschen nicht trauen konnte. Ich sagte ihm nie, daß ich nicht mitmachen würde, aber ich unternahm auch nichts, was zur Ausführung des Plans erforderlich gewesen wäre. Er muß wohl verstanden haben, was das bedeutete, denn kurz darauf wurde er von der Insel abgezogen.
Wie sich später herausstellte, war mein Mißtrauen gerechtfertigt: Der Aufseher war ein Agent des Bureau of State Security (BOSS), des südafrikanischen Geheimdienstes. Es war geplant, daß es mir gelingen sollte, die Insel verlassen, aber dann sollte ich bei dem Versuch, aus dem Land zu fliegen, in einer dramatischen Schießerei mit Sicherheitskräften auf dem Flughafen ums Leben kommen. Den ganzen Plan hatte man bei BOSS ausgeheckt, einschließlich der Gerüchte, die mich über die Pläne des ANC für meine Flucht erreichten. Es war nicht das letzte Mal, daß sie versuchten, mich zu beseitigen.
Die Amtszeit des kommandierenden Offiziers war in der Regel höchstens drei Jahre lang, und bis 1970 hatten wir mehrere Kommandanten erlebt. In diesem Jahr hatte Oberst Van Aarde die Position inne, ein recht liebenswürdiger, harmloser Bursche, der die Zügel ziemlich locker ließ. Gegen Ende des Jahres beschlossen die Behörden, daß sie auf der Insel eine andere Atmosphäre wünschten, und als neuer Kommandant wurde Oberst Piet Badenhorst eingesetzt.
Das war eine verhängnisvolle Entwicklung. Badenhorst stand in dem Ruf, einer der brutalsten und autoritärsten Offiziere der gesamten Gefängnisverwaltung zu sein. Seine Ernennung war ein deutlicher Hinweis: Nach Ansicht der Regierung herrschte auf der Insel eine zu lasche Disziplin, und wir sollten mit harter Hand zur Räson gebracht werden. Badenhorst sollte vermutlich dafür sorgen, daß wir uns noch nach den Tagen mit »Suitcase« zurücksehnten.
Jedesmal wenn ein neuer Kommandant eingesetzt wurde, bemühte ich mich um eine Zusammenkunft mit ihm, einerseits, um ihm die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens deutlich zu machen, und andererseits, um seinen Charakter einzuschätzen. Meine Bitte um ein Treffen mit Oberst Badenhorst wurde zurückgewiesen. Er war der erste Kommandant, der eine solche Begegnung ablehnte.
Die Wirkungen seiner Herrschaft spürten wir schon, bevor wir ihn überhaupt zu Gesicht bekamen. Eine Reihe neuerer Bestimmungen über Lernen und Freizeit wurden sofort außer Kraft gesetzt. Offensichtlich hatte er die Absicht, uns alle Vergünstigungen wieder wegzunehmen, die wir im Laufe der Jahre gewonnen hatten. Die alten Aufseher wurden von der Insel abgezogen und durch Badenhorsts handverlesene Wächter ersetzt. Es waren jüngere, härtere Männer, die jede kleinliche Bestimmung genau einhielten; ihre Aufgabe bestand darin, uns ständig zu quälen und zu demoralisieren. Wenige Tage nachdem Badenhorst sein Amt angetreten hatte, wurden unsere Zellen in einer Razzia durchsucht. Man beschlagnahmte Bücher und Zeitungen, strich Mahlzeiten ohne Vorankündigung und stieß die Leute auf dem Weg zum Steinbruch vorwärts.
Badenhorst versuchte, die Uhren auf der Insel auf den Stand der frühen sechziger Jahre zurückzudrehen. Die Antwort auf alle Fragen lautete stets nein. Gefangene, die mit ihren Anwälten sprechen wollten, kamen statt dessen in Einzelhaft. Beschwerden wurden vollständig ignoriert. Besuche strich man ohne Erklärung. Das Essen wurde schlechter, und die Zensur nahm zu.
Eines Morgens, etwa eine Woche nachdem Badenhorst eingetroffen war – wir arbeiteten gerade im Steinbruch –, tauchte er ohne Vorankündigung zusammen mit seinem Fahrer in seinem Dienstwagen auf. Er stieg aus und betrachtete uns aus einiger Entfernung. Wir hielten inne, um uns den neuen Kommandanten anzusehen. Badenhorst erwiderte meinen Blick und rief: »Mandela, Jy moet jou vinger uit jou gat trek« (»Du mußt den Finger aus deinem Arsch ziehen«). Ich kümmerte mich nicht um diese Ausdrucksweise und ging, ohne weiter nachzudenken, auf ihn zu. Er war ein ganzes Stück entfernt, aber noch bevor ich näher kommen konnte,
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