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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ganz andere Art als ich. Während des Spiels lief ihm der Schweiß vom Gesicht. Er war dabei angespannt und zappelig, und seine Züge machte er so schnell, als würde ein Geschwindigkeitspreis verliehen. Don und ich standen mehrmals im Finale des jährlichen Turniers.
    Wegen einer Gewohnheit, die ich beim Damespielen hatte, nannte Don mich Qhipu. Ich erwog alle Möglichkeiten, und wenn ich am Zug war, rief ich »Qhipu!« – das bedeutet etwa »Jetzt schlage ich zu«; dann setzte ich den Stein. Don fand das frustrierend, und der Spitzname erwuchs eher aus Verwirrung denn aus Freundschaft.
    Don und ich spielten in vielen Turnieren gegeneinander, und selbst wenn er gewann, kam er nach ein paar Minuten zurück, um mich zu einer weiteren Partie aufzufordern. Don wollte ständig Dame spielen und war erst zufrieden, wenn ich darauf einging. Schon bald verwendete ich auf das Spielen mit Don soviel Zeit, daß meine anderen Tätigkeiten zu kurz kamen. Als ich einmal bei meinen Studien eine Prüfung versäumte, fragten mich ein paar Kollegen nach dem Grund, und mit der Antwort »wegen Don Davis« erntete ich viel Gelächter.
     
     
    Auch unsere Laientheatertruppe gab zu Weihnachten ihre Vorstellung. Meine Schauspielerkarriere hatte brachgelegen, seit ich in Fort Hare den John Wilkes Booth gespielt hatte, aber hier in Robben Island erlebte sie eine kleine Fortsetzung. Unsere Inszenierungen waren das, was man heute minimalistisch nennt: keine Bühne, kein Bühnenbild, keine Kostüme. Wir hatten nichts außer den Worten des Stückes.
    Ich spielte nur in wenigen Aufführungen mit, aber ich hatte eine unvergeßliche Rolle: die des Thebanerkönigs Kreon in der »Antigone« von Sophokles. Ich hatte im Gefängnis mehrere antike griechische Dramen gelesen und fand sie ungeheuer anregend. Charakter, so lautete für mich ihre Lehre, bemißt sich daran, wie man schwierigen Situationen entgegentritt, und ein Held ist jemand, der auch unter den unangenehmsten Umständen nicht zusammenbricht. Als die »Antigone« ausgewählt wurde, bot ich freiwillig meine Mitwirkung an, und man gab mir die Rolle des Kreon, eines Königs in fortgeschrittenem Alter, der um den Thron seines geliebten Stadtstaates einen Bürgerkrieg ausficht. Zu Beginn des Stückes ist Kreon ein ehrlicher Patriot, und in seinen ersten Monologen liegt Weisheit: Nach seiner Überzeugung ist Erfahrung die Grundlage für eine Führungsrolle, und die Pflichterfüllung gegenüber dem Volk hat Vorrang vor der Treue zu einer Einzelperson.
     
    Unmöglich kann man eines Menschen Herz,
    Sein Denken und sein Wollen ganz erkennen,
    Eh’ er in Staat und Ämtern sich erprobt.
     
    Aber Kreon ist gnadenlos zu seinen Feinden. Er hat die Anweisung gegeben, dem Leichnam von Antigones Bruder Polyneikes, der sich gegen die Stadt aufgelehnt hat, ein ordnungsgemäßes Begräbnis zu verweigern. Antigone widersetzt sich, weil es ein höheres Gesetz als das des Staates gibt. Kreon hört nicht auf sie und auch auf niemand anderen, sondern folgt nur den Dämonen in seinem Inneren. Seine verbohrte Einstellung und seine Blindheit machen ihn zu einem schlechten Herrscher, denn ein Herrscher muß die Gerechtigkeit durch Gnade mildern. Antigone war das Symbol für unseren Kampf; sie war auf ihre Art eine Freiheitskämpferin, denn sie lehnte sich gegen das Gesetz auf, weil es ungerecht war.
     
     
    Nachund nach verwickelten manche Aufseher uns in Gespräche. Ich fing nie Unterhaltungen mit ihnen an, aber wenn sie mich etwas fragten, versuchte ich zu antworten. Man kann einen Menschen leichter erziehen, wenn er lernen will. In der Regel wurden die Fragen mit einer gewissen Verbitterung gestellt: »Na gut, Mandela, was wollen Sie denn nun wirklich?« Oder: »Sie haben doch ein Dach über dem Kopf und genug zu essen, warum machen Sie denn soviel Ärger?« In solchen Fällen erklärte ich den Aufsehern ruhig unsere Ziele. Ich wollte den ANC für sie entmystifizieren und ihre Vorurteile abbauen.
    Im Jahr 1969 kam ein junger Aufseher zu uns, der besonders erpicht zu sein schien, mich kennenzulernen. Ich hatte Gerüchte gehört, wonach unsere Leute draußen meine Flucht vorbereiteten und einen Wärter auf die Insel geschleust hätten, der mir helfen sollte. Allmählich machte der Bursche mir klar, daß er meinen Ausbruch plante.
    Nach und nach erklärte er mir, was er vorhatte: In einer Nacht wollte er die Wachhabenden im Leuchtturm unter Drogen setzen, damit ein Boot am Strand landen konnte. Er würde mir einen

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