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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ich nicht mehr, aber zum Abendessen stand ich nicht auf. Ein paar Leute schauten herein, aber sie sagten nichts. Schließlich kam Walter zu mir und kniete sich neben das Bett; ich gab ihm das Telegramm. Er schwieg und hielt nur meine Hand. Ich weiß nicht, wie lange er bei mir blieb. In einer solchen Situation gibt es nichts, was man einander sagen könnte.
    Ich stellte bei den Behörden den Antrag, an dem Begräbnis meines Sohnes teilzunehmen. Als Vater war ich dafür verantwortlich, daß seine Seele in Frieden ruhen konnte. Ich sagte, sie könnten mir eine Bewachung mitgeben, und gab mein Wort, daß ich zurückkommen würde. Der Antrag wurde abgelehnt. Man gestattete mir nur, einen Brief an Thembis Mutter Evelyn zu schreiben; darin bemühte ich mich, sie zu trösten und ihr mitzuteilen, daß ich Anteil an ihrem Leiden nahm.
    Ich dachte daran zurück, wie Thembi, der damals noch ein Kind war, mich eines Nachmittags in einem sicheren Haus in Cyrildene besuchte, das ich für geheime Arbeit des ANC benutzte. Wegen meiner Arbeit im politischen Untergrund und an Rechtsfällen hatte ich ihn eine Zeitlang nicht mehr gesehen. Ich überraschte ihn zu Hause: Er hatte ein altes Jackett von mir an, das ihm bis zu den Knien reichte. Offenbar erfüllte es ihn mit Trost und Stolz, die Kleidungsstücke seines Vaters zu tragen, ganz ähnlich wie es früher bei mir gewesen war. Als ich mich verabschiedete, stand er aufrecht da, als sei er schon erwachsen, und sagte: »Ich kümmere mich um die Familie, während du weg bist.«

 
9. Teil
Robben Island: Wachsende Hoffnung
     
     
    Die Kurve der Verbesserung verlief im Gefängnis nie stetig. Der Fortschritt verzögerte sich und war in der Regel von Rückschlägen unterbrochen. Manchmal dauerte es Jahre, bis ein Vorteil gewonnen war, der dann in einem Tag wieder zunichte gemacht wurde. Wir stemmten einen Felsblock den Berg hoch, nur damit er anschließend wieder hinunterrollte. Und doch besserten sich die Verhältnisse. Wir hatte eine Reihe kleiner Auseinandersetzungen gewonnen, und das führte insgesamt zu einer veränderten Atmosphäre auf der Insel. Zwar verwalteten wir die Insel nicht, aber die Behörden konnten sie ohne uns auch nicht verwalten, und in der Zeit, nachdem Van Rensburg sie verlassen hatte, wurde unser Leben erträglicher.
    In den ersten drei Jahren auf der Insel gab man uns allen lange Hosen. Im Jahr 1969 erhielt jeder seine eigene Gefängnisuniform – vorher hatten wir jede Woche eine andere Garnitur erhalten. Die neue Uniform paßte, und wir durften sie selbst waschen. Am Wochenende erlaubte man uns, jederzeit in den Gefängnishof zu gehen. Bei der Verpflegung herrschte zwar noch keine Gleichberechtigung, aber gelegentlich bekamen auch die afrikanischen Gefangenen morgens Brot. Und da wir die Lebensmittel ohnehin gemeinsam benutzen durften, spielten die Unterschiede keine Rolle. Man hatte uns Brettspiele und Karten gegeben, mit denen wir uns samstags und sonntags oft die Zeit vertrieben. Im Steinbruch wurden Gespräche nur selten unterbunden. Wenn der kommandierende Offizier kam, warnten uns die diensthabenden Aufseher mit einer Trillerpfeife, damit wir die Werkzeuge in die Hand nehmen konnten. Die schlimmsten Wärter hatten wir kaltgestellt, und mit den vernünftigeren hatten wir uns angefreundet; die Behörden hatten das allerdings bemerkt und wechselten die Aufseher alle paar Monate aus.
    Wir konnten uns praktisch immer treffen, wenn wir es wünschten. Die Zusammenkünfte des High Organ, allgemeine Mitgliederversammlungen und Treffen der Ulundi wurden in der Regel nicht unterbrochen, solange sie nicht zu verdächtig erschienen. Es schien, als ob nicht die Behörden, sondern die Insassen das Gefängnis leiteten.
     
     
    Der Afrikander, streng und gottesfürchtig, nimmt seine Religion ernst. Das einzige unabänderliche Ereignis in unserem Wochenplan war der Gottesdienst am Sonntagmorgen. Ihn abzuhalten war von den Behörden zwingend vorgeschrieben. Es war, als hielten sie ihre eigenen sterblichen Seelen für gefährdet, wenn sie uns nicht am Sonntag die Möglichkeit zum Beten gaben.
    Jeden Sonntagmorgen predigte ein Geistlicher einer anderen Konfession. In der einen Woche war es ein anglikanischer Priester, in der nächsten ein Prediger der niederländisch-reformierten Kirche, dann ein methodistischer Pfarrer. Die Geistlichen wurden von der Gefängnisleitung ausgesucht, und die hatte nur eine Bedingung gestellt: Die Predigt durfte ausschließlich von religiösen

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