Der lange Weg zur Freiheit
könnten, und sie wollten es auch gar nicht; dennoch waren sie durch meine Tätigkeit gestraft.
Aber immer wieder gelangte ich zu der gleichen Antwort. In Südafrika kann ein Mann die Bedürfnisse des Volkes kaum ignorieren, selbst wenn es auf Kosten der eigenen Familie geht. Ich hatte meine Wahl getroffen, und am Ende hatte sie mich darin bestärkt. Aber das verminderte weder meine Trauer darüber, daß ich ihr das Leben nicht angenehmer machen konnte, noch den Schmerz, daß ich sie nicht zur letzten Ruhe begleiten durfte.
In den frühen Morgenstunden des 12. Mai 1969 wurde Winnie in unserem Haus in Orlando von der Sicherheitspolizei geweckt und ohne Angabe von Gründen festgenommen; Grundlage war das Terrorismusgesetz von 1967, das der Regierung beispiellose Befugnisse zur Festnahme und Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren verlieh. Wie ich später erfuhr, war die Razzia Teil einer landesweiten Blitzaktion, bei der noch mehrere Dutzend andere festgenommen wurden, unter ihnen auch Winnies Schwester. Als die Polizei Winnie wegschleppte, hingen Zeni und Zindzi an ihrem Rock. Man steckte sie in Pretoria in Einzelhaft und verweigerte ihr die Freilassung auf Kaution und Besuche; in den folgenden Wochen und Monaten wurde sie rücksichtslos und brutal verhört.
Als schließlich Anklage gegen Winnie erhoben wurde – das geschah etwa sechs Monate später –, gelang es mir, die Anweisung zu geben, daß Joel Carson sie vertreten sollte, ein Anwalt, der seit langem gegen die Apartheid kämpfte. Winnie und 22 andere wurden auf Grundlage des Gesetzes zur Unterdrückung des Kommunismus angeklagt, sie hätten versucht, den ANC wiederzubeleben. Später stießen George Bizos und Arthur Chaskalson zur Verteidigung, die beide zu der Mannschaft von Rivonia gehörten. Im Oktober, 17 Monate nach ihrer Festnahme, stellte der Staat das Verfahren ohne weitere Erklärung ein, und Winnie wurde freigelassen. Aber schon nach zwei Wochen wurde sie erneut beschuldigt und unter Hausarrest gestellt. Sofort beantragte sie eine Genehmigung, mich zu besuchen, aber ihr Ansinnen wurde abgelehnt.
Für mich war im Gefängnis nichts anderes so quälend wie der Gedanke, daß Winnie ebenfalls in Haft saß. Äußerlich gab ich mich tapfer, aber im Inneren war ich zutiefst beunruhigt und besorgt. Nie stand mein inneres Gleichgewicht stärker auf dem Prüfstand als zu der Zeit, in der Winnie sich in Einzelhaft befand. Zwar hatte ich oft anderen zugeredet, sie sollten sich nicht über Dinge beunruhigen, die sie nicht beeinflussen konnten, aber jetzt war ich nicht in der Lage, meine eigenen Ratschläge zu befolgen. Ich hatte viele schlaflose Nächte. Was würden die Behörden meiner Frau antun? Wie würde sie damit fertig werden? Wer kümmerte sich um unsere Töchter? Wer würde unsere Rechnungen bezahlen? Es ist eine Art seelischer Folter, wenn man sich ständig mit solchen Fragen herumschlagen muß, ohne daß man die Möglichkeit hat, sie zu beantworten.
Brigadier Aucamp gestattete mir, Winnie zu schreiben, und gab auch einen oder zwei Briefe von ihr an mich weiter. Normalerweise dürfen Gefangene, die auf ihr Verfahren warten, keine Post empfangen, aber Aucamp erteilte die Genehmigung, um mir einen Gefallen zu tun. Ich war dafür dankbar, aber ich wußte, daß die Behörden es nicht aus reiner Nächstenliebe getan hatten: Sie lasen unsere Briefe und versprachen sich davon Erkenntnisse, die ihnen in dem Verfahren gegen Winnie helfen konnten.
Zu jener Zeit erlebte ich einen weiteren traurigen Verlust. An einem kalten Morgen im Juli 1969, drei Monate nachdem ich von Winnies Festnahme erfahren hatte, rief man mich in das Hauptbüro von Robben Island, um mir ein Telegramm zu übergeben. Es war von Makgatho, meinem jüngsten Sohn, und bestand nur aus einem einzigen Satz. Wie er mir darin mitteilte, war sein älterer Bruder, mein erster und ältester Sohn Madiba Thembekile, den wir Thembi genannt hatten, bei einem Autounfall in der Transkei ums Leben gekommen. Thembi war damals fünfundzwanzig und hatte zwei kleine Kinder.
Was soll man über eine solche Tragödie berichten? Ich war schon in tiefer Unruhe wegen meiner Frau, ich trauerte noch um meine Mutter, und dann noch eine solche Nachricht… Für die Bestürzung und den Verlust, die ich damals empfand, habe ich keine Worte. In meinem Herzen blieb eine Leere zurück, die sich nie mehr ausfüllen läßt.
Ich kehrte in meine Zelle zurück und legte mich auf das Bett. Wie lange ich liegenblieb, weiß
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