Der lange Weg zur Freiheit
über ihre Bewegung und Weltanschauung geben. Ich wollte wissen, was sie zum Kämpfen getrieben hatte, welche Motive sie hatten und wie sie sich die Zukunft vorstellten.
Kurz nachdem sie auf der Insel eingetroffen waren, kam der Kommandant zu mir und bat mich um einen Gefallen: Ich sollte den jungen Leuten eine Ansprache halten. Darin sollte ich ihnen sagen, sie sollten sich mäßigen und zur Kenntnis nehmen, daß sie in einem Gefängnis saßen und sich der Disziplin des Häftlingslebens anpassen mußten. Ich erklärte, ich sei dazu nicht bereit. So wie die Dinge lagen, hätten sie mich als verlängerten Arm der Unterdrücker angesehen.
Diese Burschen weigerten sich, auch nur die einfachsten Gefängnisvorschriften zu befolgen. Einmal sprach ich im Hauptbüro mit dem Kommandanten. Als ich mit dem Major hinausging, kamen wir an einem jungen Häftling vorüber, der von einem Beamten vernommen wurde. Der junge Mann – er war höchstens achtzehn – hatte in Gegenwart leitender Offiziere seine Gefangenenmütze auf, was den Bestimmungen widersprach. Er stand auch nicht auf, als der Major den Raum betrat – eine weitere Verletzung der Vorschriften.
Der Major sah ihn an und sagte: »Bitte nehmen Sie die Mütze ab.« Der Häftling reagierte nicht. In verwirrtem Ton wiederholte der Major: »Nehmen Sie die Mütze ab.« Der junge Mann drehte sich um, sah den Major an und fragte: »Warum?«
Was ich da hörte, konnte ich kaum glauben. Es war eine revolutionäre Frage: Warum? Auch der Major schien verblüfft zu sein, aber er hatte eine Antwort. »Es ist gegen die Vorschriften«, sagte er. »Wozu haben Sie diese Vorschriften? Welchen Zweck haben sie?« Diese Frage des Häftlings war zuviel für den Major; er trampelte aus dem Raum und sagte: »Mandela, reden Sie mit ihm!« Ich wollte aber nicht in seinem Interesse eingreifen und beugte mich nur zu dem Häftling, um ihm mitzuteilen, daß ich auf seiner Seite stand.
Das war unsere erste Begegnung mit der Black Consciousness Movement. Nachdem ANC, PAC und Kommunistische Partei verboten waren, trug diese Bewegung dazu bei, ein Vakuum unter den jungen Leuten auszufüllen. Eigentlich war Black Consciousness weniger eine Bewegung als vielmehr eine Weltanschauung. Sie war aus der Vorstellung erwachsen, daß die Schwarzen sich zuerst von ihrem inneren Minderwertigkeitsgefühl befreien mußten, das sich in drei Jahrhunderten weißer Herrschaft entwickelt hatte. Erst dann konnte sich das Volk selbstbewußt erheben und sich wirklich von der Unterdrückung freimachen. Black Consciousness Movement trat zwar für eine Gesellschaft ohne Rassenschranken ein, schloß aber Weiße von der Mitwirkung bei der Schaffung dieser Gesellschaft aus.
Solche Vorstellungen waren mir nicht fremd: Fast die gleichen Ideen hatte ich selbst ein Vierteljahrhundert zuvor gehabt, zu der Zeit, als die Jugendliga des ANC gegründet wurde. Auch wir waren Afrikanisten gewesen; wir wollten ebenfalls stolz auf unsere ethnische Herkunft und Rassenzugehörigkeit sein; und wir hatten es abgelehnt, daß Weiße uns in diesem Kampf unterstützten. Black Consciousness Movement bot in vielerlei Hinsicht die gleichen Antworten auf die gleiche Frage, die nie verschwunden war.
Aber wir waren der Sichtweise der Jugendliga entwachsen, und ebenso würden diese jungen Leute nach meiner Überzeugung einige Beschränkungen der Black Consciousness hinter sich lassen. Ihre militante Haltung machte mir Mut, aber ihre ausschließlich auf Farbige gerichtete Weltanschauung führte in meinen Augen zur Ausgrenzung; ich hielt das für eine noch nicht ganz ausgereifte Übergangshaltung. Mich selbst sah ich als Elder Statesman, der ihnen vielleicht helfen konnte, sich die umfassenderen Vorstellungen der Kongreßbewegung zu eigen zu machen. Außerdem wußte ich, daß diese jungen Leute am Ende frustriert sein würden, denn Black Consciousness Movement bot kein Aktionsprogramm, kein Ventil für ihren Protest.
Wir betrachteten die BCM zwar als Nährboden für den ANC, aber wir versuchten nicht, diese Leute anzuwerben. Wir wußten, daß das sowohl für sie als auch für die anderen Parteien auf der Insel zur Entfremdung geführt hätte. Deshalb bestand unsere Strategie darin, freundlich zu sein, Anteil zu nehmen, ihnen zu ihren Erfolgen zu gratulieren, ohne sie jedoch als Anhänger zu gewinnen. Wenn sie zu uns kamen und Fragen stellten – »Welche Politik verfolgt der ANC gegenüber den Bantus?«
»Was sagt die Freiheits-Charta über die
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