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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Regierung zu protestieren, wonach die Hälfte des Unterrichts in den höheren Schulen auf afrikaans abgehalten werden mußte. Die Schüler wollten nichts mehr lernen, und die Lehrer wollten nicht in der Sprache der Unterdrücker unterrichten. Eingaben und Petitionen von Eltern und Lehrern stießen auf taube Ohren. Ein Polizeikommando stellte sich dieser Armee eifriger Schulkinder entgegen und eröffnete ohne Vorwarnung das Feuer, wobei der dreizehnjährige Hector Pieterson und viele andere ums Leben kam. Die Kinder wehrten sich mit Stöcken und Steinen, und es folgte ein gewaltiges Handgemenge mit mehreren hundert verletzten Kindern und zwei durch Steine getöteten Weißen.
    Die Ereignisse dieses Tages hallten in allen Städten und Townships Südafrikas wider. Der Aufstand führte quer durch das Land zu Übergriffen und Gewalt. Trauerfeiern für die Opfer der staatlichen Gewalt wurden zu landesweiten Demonstrationen. Plötzlich waren die jungen Leute in Südafrika vom Geist des Protestes und der Rebellion beseelt. Überall im Land boykottierten Schüler den Unterricht. Organisatoren des ANC stießen zu ihnen, um den Protest aktiv zu unterstützen. Die Bantu-Erziehung war zurückgekommen und verfolgte nun ihre Schöpfer, denn diese verärgerten, verwegenen jungen Leute waren ihre Sprößlinge.
    Im September füllte sich der Isolierbereich mit jungen Männern, die man im Gefolge der Unruhen verhaftet hatte. Durch geflüsterte Unterhaltungen in einem benachbarten Korridor erfuhren wir aus erster Hand, was sich abgespielt hatte. Meine Kameraden und ich waren in Hochstimmung: Der Geist des Massenprotestes, der in den sechziger Jahren eingeschlafen schien, flammte in den Siebzigern wieder auf. Viele dieser jungen Leute hatten das Land verlassen, um sich unserer eigenen militärischen Bewegung anzuschließen, und dann waren sie heimlich zurückgekommen. Tausende von ihnen waren in unseren Lagern in Tansania, Angola und Mosambik ausgebildet worden. Nichts ist im Gefängnis so ermutigend wie die Nachricht, daß die Leute draußen die Sache unterstützen, deretwegen man eingesperrt ist.
    Diese jungen Männer verkörperten eine andere Art von Häftlingen, als wir sie bisher erlebt hatten. Sie waren mutig, grimmig und aggressiv. Sie befolgten keine Befehle und riefen bei jeder Gelegenheit »Amandla!« Ihre Einstellung war nicht auf Kooperation, sondern auf Konfrontation gerichtet. Die Behörden wußten nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollten, und sie stellten die Insel auf den Kopf.
    Während des Rivonia-Prozesses sagte ich einmal zu einem Angehörigen der Sicherheitspolizei, die Regierung müsse Reformen einleiten, sonst würden die Freiheitskämpfer, die an unsere Stelle traten, dafür sorgen, daß die Behörden sich noch nach uns zurücksehnten. Auf Robben Island war dieser Tag tatsächlich gekommen.
    An den jungen Männern sahen wir den revolutionären Geist jener Zeit. Ich hatte gewisse Warnungen erhalten. Als Winnie mich einige Monate zuvor besuchte, hatte sie mir mit Hilfe unserer codierten Unterhaltung mitteilen können, daß es eine wachsende Schicht unzufriedener Jugendlicher gab, die militant in ihrer Zielsetzung und afrikanistisch in ihrer Einstellung waren. Sie erklärte, nach ihrer Ansicht würden diese Leute das Wesen des Kampfes verändern und ich solle auf sie achten.
    Die neuen Häftlinge waren entsetzt über die in ihren Augen unmenschlichen Haftbedingungen auf der Insel und erklärten, sie könnten nicht verstehen, wie wir ein solches Leben aushielten. Wir erwiderten, sie hätten die Insel einmal 1964 sehen sollen. Aber sie standen uns fast ebenso kritisch gegenüber wie den Behörden. Unsere Aufforderung zur Disziplin beachteten sie nicht, und unsere Ratschläge hielten sie für schwächlich und duckmäuserisch.
    Offensichtlich betrachteten sie uns, die Verurteilten von Rivonia, als gemäßigt. Wenn man so viele Jahre als radikaler Revolutionär gebrandmarkt ist, erweckt die Tatsache, daß man als Gemäßigter gilt, neue und keineswegs nur angenehme Gefühle. Ich wußte, daß ich auf zweierlei Weise reagieren konnte: Entweder verspottete ich sie wegen ihrer Frechheit, oder ich hörte mir an, was sie zu sagen hatten. Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit.
    Von einigen dieser Leute, die neu in unseren Block gekommen waren, beispielsweise von Strini Moodley von der South African Student’s Organization und von Saths Cooper von der Black People’s Convention, ließen wir uns schriftliche Unterlagen

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