Der lange Weg zur Freiheit
etwas zu riskieren, zogen unsere Anzüge an, schlüpften aus unseren Quartieren und begaben uns zum Tanzparkett. Ich erspähte eine attraktive junge Dame auf der anderen Seite der Tanzfläche. Ich ging zu ihr und forderte sie höflich zum Tanz auf. Einen Augenblick später war sie in meinen Armen. Wir bewegten uns gut zusammen, und ich stellte mir vor, daß wir auf dem Tanzboden ein großartiges Paar abgaben. Nach einigen Minuten fragte ich sie nach ihrem Namen. »Mrs. Bokwe«, sagte sie sanft. Ums Haar wäre ich von der Tanzfläche geflüchtet. Mrs. Bokwe war die Frau von Dr. Roseberry Bokwe, einem der angesehensten afrikanischen Führer seiner Zeit. Mein Blick glitt zur Seite, und ich sah, wie Dr. Bokwe mit seinem Schwager, Professor Z. K. Matthews, meinem Professor, plauderte. Ich entschuldigte mich überschwenglich bei Mrs. Bokwe. Dann begleitete ich sie stumm und linkisch zu ihrem Mann und Professor Matthews. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Obwohl ich gegen eine Menge von Vorschriften der Universität verstoßen hatte, sagte Professor Matthews, der für die Disziplin verantwortlich war, niemals etwas zu mir. In Sachen Disziplin tolerierte er einen gewissen jugendlichen Übermut, solange dieser ausgeglichen wurde durch fleißiges Studium. Ich glaube, ich habe nie eifriger studiert als in den Wochen nach unserem Abend im Ntselamanzi.
Fort Hare war sowohl intellektuell wie sozial in einer Weise fortschrittlich und modern, die für mich neu und fremd war. Nach westlichem Standard mag die Weitläufigkeit Fort Hares belanglos erscheinen, doch für einen Jungen vom Land wie mich war es eine Offenbarung. So trug ich in Fort Hare zum erstenmal einen Pyjama. Anfangs fand ich ihn absurd und unbequem, doch bald gewöhnte ich mich daran. Dort benutzte ich auch zum erstenmal Zahnbürste und Zahnpasta; daheim gebrauchten wir Asche, um die Zähne weiß zu halten, und Zahnstocher, um sie zu säubern. Toiletten mit Wasserspülung und Duschen mit warmem Wasser waren für mich gleichfalls eine Neuheit. Auch gebrauchte ich zum erstenmal Toilettenseife anstelle der blauen Reinigungsseife, mit der ich mich daheim so viele Jahre gewaschen hatte.
Vielleicht war all diese Modernität der Grund dafür, daß ich mich nach manchen der einfachen Vergnügungen sehnte, die ich als Junge genossen hatte. Ich war nicht der einzige, dem es so erging, und in meinem zweiten Jahr schloß ich mich einer Gruppe junger Männer an, die insgeheim abendliche Expeditionen unternahmen zu den Maisfeldern der Universität und dort ein Feuer anzündeten, um Mealies zu rösten. Im Kreis saßen wir darum herum, aßen Mealies und erzählten uns Geschichten. Wir taten dies nicht, weil wir hungrig waren, sondern aus dem Bedürfnis heraus, die Kindheit und das uns Vertrauteste wiederzubeleben. Wir prahlten mit unseren Leistungen, unseren sportlichen Erfolgen und damit, wieviel Geld wir verdienen würden, wenn wir das Studium hinter uns hätten. Dies war keine politische Zelle. Obwohl ich mich für einen gescheiten jungen Burschen hielt, war ich doch noch ein Junge vom Lande, der sich nach ländlichen Vergnügungen sehnte.
Fort Hare war zwar eine Art Freiraum, weitab von der Welt gelegen, doch wir waren höchst interessiert an dem Fortgang des Zweiten Weltkrieges. Wie meine Studienkollegen war ich äußerst aufgeregt, als wir erfuhren, daß der Redner bei der Graduationsfeier der Universität am Ende meines ersten Studienjahres Englands großer Fürsprecher in Südafrika, der frühere Premierminister Jan Smuts, sein werde. Es war eine große Ehre für Fort Hare, Gastgeber eines Mannes zu sein, der als Weltstaatsmann galt. Smuts, damals stellvertretender Premierminister, reiste durch das Land und plädierte dafür, daß Südafrika Deutschland den Krieg erklärte, wohingegen der damalige Premierminister J. B. Hertzog für Neutralität eintrat. Ich war äußerst neugierig, einen weltbekannten Mann wie Smuts aus der Nähe zu sehen.
Während Hertzog drei Jahre zuvor die Kampagne angeführt hatte, die letzten afrikanischen Wähler von den Wahllisten am Kap zu streichen, empfand ich Smuts als sympathischen Menschen. Daß er mitgeholfen hatte, den Völkerbund zu gründen, um auf der Welt Frieden zu stiften, war damals für mich wichtiger als die Tatsache, daß er daheim den Frieden unterdrückt hatte.
Smuts sprach davon, wie wichtig es sei, Großbritannien gegen Deutschland zu unterstützen, und sprach von der Vorstellung, daß England für die gleichen
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