Der lange Weg zur Freiheit
unverantwortlich handelten; sollte ich auf meinem Verzicht beharren, sähe er sich gezwungen, mich von Fort Hare zu verweisen.
Das Gespräch hatte mir sehr zugesetzt, und ich verbrachte eine ruhelose Nacht. Nie zuvor hatte ich einen so folgenreichen Entschluß zu fassen. Bevor ich jedoch schlafen ging, besprach ich mich mit meinem Freund und Mentor, K. D. Nach seiner Überzeugung war aus prinzipiellen Gründen mein Verzicht korrekt, ich dürfe vor Dr. Kerr nicht kapitulieren. Ich glaube, damals hatte ich vor K. D. noch mehr Angst als vor Dr. Kerr.
Obwohl ich davon überzeugt war, moralisch im Recht zu sein, war ich mir doch nicht sicher, ob es auch der richtige Weg war. Stand ich nicht im Begriff, meine akademische Karriere zu gefährden wegen irgendeines abstrakten moralischen Prinzips, das wenig zählte? Ich fand es schwierig, mich mit dem Gedanken abzufinden, das, was ich als Verpflichtung gegenüber den Studenten betrachtete, für meine eigenen selbstsüchtigen Interessen aufzuopfern. Ich hatte einen Standpunkt eingenommen, und ich wollte in den Augen meiner Kommilitonen nicht als Betrüger dastehen. Zugleich wollte ich nicht auf meine Karriere in Fort Hare verzichten.
Als ich am nächsten Morgen Dr. Kerrs Büro betrat, befand ich mich noch immer in einem Zustand der Unentschlossenheit. Erst als er mich nach meiner Entscheidung fragte, faßte ich endgültig einen Entschluß. Ich erklärte Dr. Kerr, daß ich guten Gewissens nicht im SRC tätig sein könne. Meine Antwort schien Dr. Kerr ein wenig aus der Fassung zu bringen, und er überlegte einen Augenblick, bevor er sprach: »Nun gut«, sagte er. »Es ist Ihre Entscheidung, natürlich. Aber ich habe über die Angelegenheit auch nachgedacht, und ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Sie können nächstes Jahr nach Fort Hare zurückkehren unter der Voraussetzung, daß Sie sich dem SRC anschließen. Sie haben den ganzen Sommer, um es sich durch den Kopf gehen zu lassen, Mr. Mandela.«
Ich war von meiner Reaktion in gewisser Weise genauso überrascht wie Dr. Kerr. Der Gedanke, Fort Hare zu verlassen, erschien mir zwar tollkühn, doch als ich nachgeben sollte, war ich dazu einfach außerstande. Zwar wußte ich Dr. Kerrs Entscheidung, mir noch eine Chance zu geben, durchaus zu schätzen, doch verabscheute ich die absolute Macht, die er über mein Schicksal besaß. Ich hätte das Recht haben müssen, mich in Sachen SRC frei zu entscheiden, mich aus ihm zurückzuziehen, wenn ich es wünschte. Diese Ungerechtigkeit peinigte mich, und in jenem Augenblick sah ich in Dr. Kerr weniger einen Wohltäter denn einen keineswegs immer gütigen Diktator. Als ich Ende des Jahres Fort Hare verließ, war ich in einer trostlosen Gemütsverfassung.
Wenn ich nach Mqhekezweni zurückkehre, dann gewöhnlich mit einem Gefühl der Erleichterung und der Erfüllung. Ganz anders diesmal. Nach bestandenen Prüfungen kehrte ich heim und berichtete dem Regenten, was in Fort Hare geschehen war. Der Regent war wütend und konnte meine Handlungsweise nicht verstehen. Er hielt sie für Wahnsinn. Ohne sich meine vollständige Darlegung anzuhören, erklärte er mir barsch, ich müsse im Herbst nach Fort Hare zurückkehren und den Anweisungen des Prinzipals gehorchen, welcher Art sie auch seien. Sein Ton ließ keine Diskussion zu. Es wäre ebenso zwecklos wie respektlos gewesen, mit meinem Wohltäter zu debattieren. Ich beschloß, meine Empörung herunterzuschlucken und die Angelegenheit vorerst auf sich beruhen zu lassen.
Auch Justice war nach Mqhekezweni zurückgekehrt, und wir freuten uns riesig über unser Wiedersehen. Mochten Justice und ich auch noch so lange voneinander getrennt sein, im Augenblick unseres Wiedersehens verband uns, genau wie zuvor, eine brüderliche Freundschaft. Justice war im Jahr zuvor von der Schule abgegangen und lebte in Johannesburg.
Innerhalb weniger Tage hatte ich mich zu Hause wieder eingelebt. Ich kümmerte mich um die Angelegenheiten des Regenten, um seine Herde und seine Beziehungen zu anderen Häuptlingen. Ich beschäftigte mich nicht sonderlich mit der Situation in Fort Hare, doch das Leben hatte, wie stets, seine eigene Art und Weise, Unschlüssige zu Entscheidungen zu zwingen. Mit meinem Studium hatte die Angelegenheit, die mich zu meinem Entschluß trieb, allerdings ganz und gar nichts zu tun.
Einige Wochen nach meiner Rückkehr ließ der Regent Justice und mich zu sich rufen. »Meine Kinder«, sagte er in düsterem Ton, »ich fürchte, daß ich
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