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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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westlichen Werte stand wie wir Südafrikaner. Ich erinnere mich noch, daß der Akzent, mit dem er englisch sprach, fast so armselig war wie mein eigener! Gemeinsam mit meinen Kommilitonen applaudierte ich General Smuts herzlich. Ich beklatschte seinen Appell, für die Freiheit Europas zu kämpfen, und vergaß, daß meine Kommilitonen und ich eine solche Freiheit in unserer Heimat nicht besaßen.
    Smuts predigte in Fort Hare sozusagen Bekehrten. Jeden Abend gab uns der Leiter von Wesley House einen Überblick über die militärische Lage, und spätabends versammelten wir uns alle um ein altes Radio und lauschten den BBC-Übertragungen von Winston Churchills bewegenden Ansprachen. Doch wenngleich wir Smuts’ Standpunkt teilten, so löste sein Besuch doch heftige Diskussionen aus. Bei einer Debatte erhob sich einer meiner Altersgenossen, Nyathi Khongisa, der als außergewöhnlich gescheit galt, und verdammte Smuts als Rassisten. Er meinte, wir könnten uns ja als »schwarze Engländer« betrachten, doch die Engländer hätten uns unterdrückt, während sie gleichzeitig versucht hätten, uns zu »zivilisieren«. Wie immer die Gegensätze zwischen Buren und Briten auch beschaffen seien, beide weiße Gruppen würden sich zusammenschließen, um einer schwarzen Bedrohung zu begegnen. Khongisa verblüffte uns, und seine Äußerung schien uns gefährlicher Radikalismus zu sein. Ein Kommilitone flüsterte mir zu, Nyathi sei ein Mitglied des African National Congress, einer Organisation, von der ich vage gehört hatte und von der ich sehr wenig wußte. Nachdem Südafrika Deutschland den Krieg erklärt hatte, trat Hertzog zurück und Smuts wurde Premierminister.
    Während meines zweiten Jahres in Fort Hare lud ich meinen Freund Paul Mahabane ein, die Winterferien mit mir in der Transkei zu verbringen. Paul stammte aus Bloemfontein und war auf dem Campus recht bekannt, weil sein Vater, Reverend Zaccheus Mahabane, zweimal Generalpräsident des African National Congress gewesen war. Seine Verbindung zur Organisation, über die ich noch wenig wußte, verlieh ihm den Ruf eines Rebellen.
    An einem unserer Ferientage hatten wir uns nach Umtata aufgemacht, der Hauptstadt der Transkei, die damals aus wenig mehr als ein paar Straßen und einigen Regierungsgebäuden bestand. Vor einem dieser Gebäude, dem Postamt, standen wir gerade, als der lokale Magistrate, ein Weißer um die Sechzig, Paul aufforderte, in das Postamt zu gehen, um ein paar Briefmarken für ihn zu kaufen. Es war damals durchaus üblich, daß jeder Weiße irgendeinen Schwarzen auffordern konnte, etwas für ihn zu erledigen. Der Magistrate versuchte dann, Paul etwas Geld zu geben. Mahabane sagte einfach nein, das werde er nicht tun. Der Magistrate war beleidigt. »Wissen Sie, wer ich bin?« fragte er mit vor Verärgerung gerötetem Gesicht. »Ich brauche nicht zu wissen, wer Sie sind«, sagte Mahabane. »Ich weiß, was Sie sind.« Der Magistrate wollte wissen, was er damit meine. »Ich meine, daß Sie ein Flegel sind!« sagte Paul hitzig. Der Magistrate schäumte und drohte: »Dafür wirst du teuer bezahlen.«
    Ich empfand bei Pauls Verhalten äußerstes Unbehagen. Zwar bewunderte ich seinen Mut, doch es beunruhigte mich auch. Der Magistrate wußte genau, wer ich war, und ich weiß, wären unsere Rollen vertauscht gewesen, so hätte ich die Besorgung wohl einfach erledigt und die Sache dann vergessen. Doch ich bewunderte Paul für seine Haltung, obwohl ich selbst nicht dazu bereit war. Allmählich begann ich zu begreifen, daß man sich die dutzendfachen kleinen Demütigungen, denen sich ein Schwarzer täglich ausgesetzt sah, nicht gefallen lassen mußte.
    Nach den Ferien kehrte ich zu Anfang des neuen Jahres zur Universität zurück und fühlte mich stark und erholt. Ich konzentrierte mich auf mein Studium und war ganz auf meine Examina im Oktober ausgerichtet. In einem Jahr, kalkulierte ich, würde ich wohl einen B. A. haben, einen Bachelor of Arts, den gleichen akademischen Grad wie die kluge Gertrude Ntlabathi. Ein akademischer Grad sei, so glaubte ich, ein Passierschein nicht nur zu Führungsposten in der Gesellschaft, sondern auch zu finanziellem Erfolg. Immer und immer wieder hatten uns Dr. Alexander Kerr und die Professoren Jabavu und Matthews eingebleut, daß wir als Graduierte von Fort Hare die afrikanische Elite seien. Ich hatte wahrhaft das Gefühl, daß mir die Welt zu Füßen liegen würde.
    Als B. A. würde ich in der Lage sein, meiner Mutter das

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