Der lange Weg zur Freiheit
hatte, als ich in Wits studierte, und ihr Tod zeigte die ganze Grausamkeit des Staates bei der Abwehr gegen unseren Kampf.
Der erste Autobombenangriff des MK erfolgte im Mai 1983 und zielte auf ein Büro der Luftwaffe und der militärischen Abwehr im Herzen Pretorias. Er sollte die unprovozierten Angriffe des Militärs auf den ANC in Maseru und anderswo vergelten und war eine klare Eskalation des bewaffneten Kampfes. 19 Menschen wurden getötet und mehr als 200 verletzt.
Der Tod von Zivilisten war ein tragischer Unfall, und ich war zutiefst entsetzt über die Todesopfer. Doch so sehr sie mich auch verstörten, ich wußte, daß solche Unfälle die unvermeidliche Konsequenz der Entscheidung waren, einen militärischen Kampf aufzunehmen. Menschliche Fehlbarkeit ist vom Krieg nicht zu trennen, und der Preis dafür ist immer hoch. Gerade weil wir wußten, daß es zu solchen Vorfällen kommen würde, hatten wir die Entscheidung, zu den Waffen zu greifen, nur so schwer und widerstrebend getroffen. Doch wie Oliver zur Zeit der Bombenexplosion sagte, wurde uns der bewaffnete Kampf von der Gewalttätigkeit des Apartheidregimes aufgezwungen.
Sowohl die Regierung als auch der ANC arbeiteten auf zwei Schienen: militärisch und politisch. An der politischen Front setzte die Regierung ihre übliche Strategie des Teilens und Herrschens fort, indem sie versuchte, Afrikaner von Farbigen und Indern zu trennen. Bei einem Referendum im November 1983 unterstützte die weiße Wählerschaft P. W. Bothas Plan, ein sogenanntes Dreikammerparlament mit indischen und farbigen Kammern zusätzlich zu dem weißen Parlament zu schaffen. Damit sollten Inder und Farbige in das System gelockt und von den Afrikanern abgespalten werden. Doch das Angebot war bloß ein »Spielzeugtelefon«, da alle parlamentarischen Akte von Indern und Farbigen einem weißen Veto unterlagen. Die Außenwelt sollte zu der irrigen Annahme verleitet werden, die Regierung reformiere die Apartheid. Bothas List täuschte das Volk nicht, da mehr als 80 Prozent der stimmberechtigten indischen und farbigen Wähler die Wahl der neuen Parlamentskammern im Jahre 1984 boykottierten.
Innerhalb des Landes bildeten sich mächtige politische Basisbewegungen, die enge Verbindung zum ANC hielten; die wichtigste war die United Democratic Front (UDF), und ich wurde zu einem ihrer Schirmherren ernannt. Die UDF war geschaffen worden, um den Protest gegen die neue Apartheidverfassung 1983 und die ersten Wahlen zum getrennten Dreikammerparlament 1984 zu koordinieren. Bald erblühte die UDF zu einer mächtigen Organisation, die mehr als sechshundert Antiapartheid-Organisationen zusammenfaßte – Gewerkschaften, Gemeindegruppen, Kirchengruppen, Studentenverbindungen.
Der ANC errang eine neue Popularität. Meinungsumfragen zeigten, daß der Congress die bei weitem populärste politische Organisation der Afrikaner war, obwohl er seit einem Vierteljahrhundert verboten war. Der Antiapartheidkampf insgesamt hatte die Aufmerksamkeit der Welt erregt; 1984 erhielt Bischof Desmond Tutu den Friedensnobelpreis. (Die Behörden weigerten sich, Bischof Tutu meinen Glückwunschbrief zu schicken.) Die südafrikanische Regierung stand unter wachsendem internationalem Druck, da Nationen in aller Welt begannen, Pretoria mit Wirtschaftssanktionen zu belegen.
Im Laufe der Jahre hatte die Regierung mehrmals die Fühler in meine Richtung ausgestreckt, beginnend mit Minister Krugers Versuchen, mich zum Umzug in die Transkei zu überreden. Das waren keine Verhandlungsbemühungen; ich sollte dadurch von meiner Organisation isoliert werden. Mehrmals hatte Kruger zu mir gesagt: »Mandela, wir können mit Ihnen zusammenarbeiten, aber nicht mit Ihren Kollegen. Seien Sie vernünftig.« Obwohl ich auf diese Angebote nicht reagierte, konnte man die bloße Tatsache, daß sie redeten und nicht angriffen, als Vorspiel zu echten Verhandlungen werten.
Die Regierung sondierte das Terrain. Ende 1984 und Anfang 1985 erhielt ich Besuche von zwei prominenten westlichen Staatsmännern, Lord Nicholas Bethell, einem Mitglied des britischen Oberhauses und des europäischen Parlaments, und Samuel Dash, einem Rechtsprofessor an der Georgetown University und früheren Berater des Watergate-Komitees des amerikanischen Senats. Beide Besuche wurden vom neuen Justizminister Kobie Coetsee genehmigt, der ein neuartiger afrikanischer Führer zu sein schien.
Ich traf Lord Bethell im Büro des
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