Der lange Weg zur Freiheit
zwölf war. Nach Abschluß der Grundschule wurde sie nach Johannesburg zur dortigen High School geschickt. Sie lebte bei ihrem Bruder, Sam Mase, der damals im Haus der Sisulus wohnte. Ma Sisulu, Walters Mutter, war die Schwester von Evelyns Mutter. Die Sisulus behandelten Evelyn wie eine Tochter, und sie liebten sie sehr.
Bald nach unserem ersten Zusammentreffen bat ich Evelyn, mit mir auszugehen. Fast genauso schnell verliebten wir uns. Schon wenige Monate später machte ich ihr einen Heiratsantrag, und sie sagte ja. Es war eine Ziviltrauung im Native Commissioner’s Court in Johannesburg, wo Unterschriften und ein Trauzeuge genügten. Eine traditionelle Hochzeitsfeier oder ein Hochzeitsfest konnten wir uns nicht leisten. Unser dringendstes Problem war eine Wohnung. Zunächst wohnten wir bei ihrem Bruder in Ost-Orlando und dann bei ihrer Schwester bei den City Deep Mines, wo ihr Schwager, Maunguli Mgudira, als Clerk arbeitete.
1946kam es zu einer Reihe von Ereignissen, die meine politische Entwicklung prägten und die Richtung des Kampfes bestimmten. Der Minenarbeiterstreik von 1946, bei dem am Reef 70000 afrikanische Minenarbeiter in den Ausstand traten, war für meine politische Haltung von besonderer Bedeutung. Auf Initiative von J. B. Marks, Dan Tloome, Gaur Radebe und einer Anzahl von ANC-Gewerkschaftsaktivisten war Anfang der vierziger Jahre die African Mineworker’s Union (AMWU) gegründet worden. Auf dem Reef arbeiteten nicht weniger als 400 000 afrikanische Minenarbeiter, von denen die meisten nicht mehr als zwei Shilling pro Tag verdienten. Wiederholt hatte die Gewerkschaftsführung die Chamber of Mines gedrängt, einen Mindestlohn von täglich zehn Shillings zu zahlen, für Familienunterkünfte zu sorgen und einen zweiwöchigen bezahlten Urlaub zu gewähren. Ebensooft waren die Forderungen ignoriert worden.
In einem der größten Streiks der südafrikanischen Geschichte legten die Minenarbeiter für eine Woche die Arbeit nieder und bewahrten volle Solidarität. Die Vergeltung des Staates war erbarmungslos. Die Streikführer wurden festgenommen, die Unterkünfte von der Polizei umzingelt, die AMWU-Büros durchsucht. Ein Marsch wurde von der Polizei brutal aufgelöst. Zwölf Minenarbeiter wurden getötet. Der Native Representative Council vertagte sich aus Protest. Mehrere Verwandte von mir waren Minenarbeiter, und ich besuchte sie während der Streikwoche, diskutierte mit ihnen über die anstehenden Probleme und versprach ihnen meine Unterstützung.
Damals war J. B. Marks Präsident der Minenarbeitergewerkschaft; er war langjähriges Mitglied des ANC wie der Kommunistischen Partei. Geboren in Transvaal, Kind eines gemischten Elternpaares, war er eine charismatische Gestalt mit ausgeprägtem Sinn für Humor. Er war ein großer Mann von heller Gesichtsfarbe. Während des Streiks begleitete ich ihn mehrmals von Mine zu Mine, wo er mit den Arbeitern sprach und Strategien entwarf. Von morgens bis in die Nacht bewies er besonnene, vernünftige Führungsqualitäten, und sein Humor milderte auch die schwerste Krise. Beeindruckt war ich von der organisatorischen Fähigkeit der Gewerkschaft und auch von ihrer Fähigkeit, ihre Mitglieder selbst angesichts einer solch brutalen Gegnerschaft unter Kontrolle zu halten.
Am Ende behielt der Staat die Oberhand. Der Streik wurde unterdrückt, die Gewerkschaft zermalmt. Der Streik war der Beginn meiner engen Beziehung zu Marks. Ich besuchte ihn oft in seinem Haus, und wir diskutierten ausführlich über meine Gegnerschaft zum Kommunismus. Marks war strammes Parteimitglied, doch niemals personalisierte er meine Einwände, denn nach seiner Meinung war es für einen jungen Mann nur natürlich, sich zum Nationalismus zu bekennen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung würden meine Ansichten schon weiter und umfassender werden. Die gleichen Diskussionen hatte ich mit Moses Kotane und Yusuf Dadoo, die beide, wie auch Marks, glaubten, der Kommunismus müsse der afrikanischen Situation angepaßt werden. Andere kommunistische Mitglieder des ANC verurteilten mich und die anderen Liga-Mitglieder, doch Marks, Kotane und Dadoo nie.
Nach dem Streik wurden 52 Männer verhaftet, darunter auch Kotane und Marks und viele andere Kommunisten; sie wurden zunächst der Unruhestiftung und dann der Aufwiegelung angeklagt. Es war ein politischer Prozeß, eine Demonstration des Staates, daß man mit der roten Gefahr unnachsichtig umzugehen gedachte.
Im selben Jahr zwang mich
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