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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ein weiteres Ereignis, meine gesamte Einstellung zur politischen Arbeit zu überdenken. 1946 erließ die Smuts-Regierung den Asiatic Land Tenure Act, der die Bewegungsfreiheit von Indern beschnitt, Gebiete festlegte, wo Inder wohnen und Handel treiben konnten, und das Recht auf den Erwerb von Grundbesitz stark beschnitt. Im Gegenzug räumte die Regierung ihnen eine Parlamentsvertretung durch weiße Ersatzleute ein. Dr. Dadoo, Präsident des Transvaal Indian Congress, geißelte die Restriktionen und tat das Angebot auf parlamentarische Vertretung als »Scheinangebot eines vorgetäuschten Rechts« ab. Dieses Gesetz, bekannt als Ghetto Act, war eine schwerwiegende Beleidigung der indischen Gemeinde und antizipierte den Group Areas Act, der schließlich die Freiheit aller farbigen Südafrikaner einschränkte.
    Die indische Gemeinschaft war empört und entschloß sich zum passiven Widerstand in Form einer konzertierten, zweijährigen Kampagne. Unter der Führung von Dr. Dadoo und G. M. Naicker, dem Präsidenten des Natal Indian Congress, führte die indische Gemeinde eine Massenkampagne durch, die uns durch ihre Organisation und ihr Engagement beeindruckte. Hausfrauen, Priester, Ärzte, Rechtsanwälte, Händler, Studenten und Arbeiter reihten sich in die vordersten Linien der Protestbewegung ein. Zwei Jahre vernachlässigten die Menschen ihr eigenes Leben, um den Kampf aufzunehmen. Massenversammlungen wurden abgehalten; Weißen vorbehaltenes Land wurde besetzt und von Streikposten blockiert. Nicht weniger als zweitausend Freiwillige warf man ins Gefängnis, und Dr. Dadoo und Dr. Naicker wurden zu je sechs Monaten Zwangsarbeit verurteilt.
    Die Kampagne war auf die Inder beschränkt, und andere Gruppen wurden nicht zur Teilnahme ermutigt. Trotzdem sprachen Dr. Xuma und andere afrikanische Führer auf mehreren Versammlungen und sicherten gemeinsam mit der Jugendliga dem Kampf der Inder ihre volle moralische Unterstützung zu. Die Regierung erließ weitere harte Gesetze, um die Rebellion niederzuschlagen, doch wir in der Jugendliga und im ANC hatten als Zeugen erlebt, wie die Inder gegen die Rassenunterdrückung eine außerordentliche Protestbewegung zustande gebracht hatten, auf eine Weise, wie es den Afrikanern und dem ANC noch nie gelungen war. Ismail Meer und J. N. Singh gaben ihr Studium auf, verabschiedeten sich von ihren Familien und gingen ins Gefängnis. Ahmed Kathrada, der noch die High School besuchte, verhielt sich ebenso. Mit Ismail Meer besuchte ich häufig das Haus von Amina Pahad, um bei ihr zu Mittag zu essen, und eines Tages legte diese bezaubernde Frau plötzlich ihre Schürze ab und ging für ihre Überzeugungen ins Gefängnis. Falls ich die Bereitschaft der Inder, sich gegen Unterdrückung zu erheben, jemals bezweifelt hatte, jetzt war das nicht mehr möglich.
    Die indische Kampagne wurde zum Modell für jene Art von Protest, den wir in der Jugendliga forderten. Sie weckte bei den Menschen den Geist des Widerstands und des Radikalismus, brach die Angst vor Gefängnis und stärkte Popularität und Einfluß von NIC und TIC. Sie erinnerte uns daran, daß der Freiheitskampf nicht nur darin bestehen konnte, auf Versammlungen Reden zu halten, Resolutionen zu verabschieden und Abordnungen zu entsenden. Entscheidend waren vielmehr präzise Organisation, militante Massenaktion und vor allem die Bereitschaft, Leiden und Opfer auf sich zu nehmen. Die indische Kampagne hatte ihre Wurzeln in der passiven Widerstandskampagne von 1913, als der damalige Mahatma Gandhi eine tumultuöse Prozession von Indern illegal von Natal nach Transvaal führte. Doch das war Geschichte; diese Kampagne fand vor meinen Augen statt.
    Im Frühjahr 1946 bezogen Evelyn und ich ein eigenes städtisches Haus mit zwei Zimmern in Ost-Orlando und kurz darauf ein etwas größeres Haus in West-Orlando. West-Orlando war ein düsterer spartanischer Bezirk mit schachtelartigen Stadthäusern, die später zu Groß-Soweto gehörten. Der Name Soweto ist ein Akronym für Südwestliche Townships. Unser Haus lag in einem Gebiet, das von seinen Bewohnern den Spitznamen »Westcliff« (»Westklippe«) erhalten hatte, eine Anspielung auf die phantastische weiße Vorstadt im Norden.
    Die Miete für unser neues Heim betrug siebzehn Shilling und sechs Pence monatlich. Das Haus selbst war identisch mit Hunderten anderer, die auf briefmarkengroßen Grundstücken an schmutzigen Straßen erbaut waren. Es hatte das gleiche genormte Wellblechdach, den gleichen

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