Der lange Weg zur Freiheit
Witwatersrand, alte ANC-Mitstreiter aus Alexandra, indische Schulkinder aus Grund- und Oberschulen, Menschen jeden Alters und jeder Hautfarbe. Nie zuvor war das Gericht von solchen Menschenmassen gleichsam überschwemmt worden. Der Gerichtssaal selbst war überfüllt, und die Verhandlung wurde unterbrochen von Rufen »Mayibuye Afrika!« (»Laßt Afrika zurückkehren«).
Der Prozeß hätte eine Gelegenheit sein sollen, um Geschlossenheit und Solidarität zu bekunden, wurde jedoch getrübt durch den Vertrauensbruch eines der Angeklagten. Dr. Moroka, der Generalpräsident des ANC, der Mann an der Spitze der Kampagne, versetzte uns allen einen Schock, als er sich einen eigenen Verteidiger nahm. Wir hatten geplant, daß uns gemeinsam der Prozeß gemacht werde sollte. Meine Mitangeklagten beauftragten mich, die Angelegenheit mit Dr. Moroka zu besprechen und ihn zu bewegen, sich nicht von uns anderen abzusondern. Am Tag vor dem Prozeß suchte ich Dr. Moroka in Village Deep, Johannesburg, auf.
Zu Beginn unseres Gesprächs nannte ich ihm Alternativen, doch er war nicht interessiert. Vielmehr äußerte er eine Anzahl von Beschwerden. Dr. Moroka hatte das Gefühl, er sei von der Planung der Kampagne ausgeschlossen worden. Tatsache war, daß Moroka sich für ANC-Angelegenheiten oft herzlich wenig interessierte und darüber auch ganz zufrieden war. Mehr als alles andere, erklärte er, störe ihn jedoch, daß er im Falle gemeinsamer Verteidigung für uns alle in Verbindung gebracht werde mit Kommunisten. Dr. Moroka teilte die Animosität der Regierung gegenüber dem Kommunismus. Ich wandte ein, es sei Tradition des ANC, mit jedem zusammenzuarbeiten, der gegen rassische Unterdrückung sei. Doch Dr. Moroka blieb ungerührt.
Der größte Schock jedoch war, als Dr. Moroka in erniedrigender Weise gegenüber Richter Rumpff auf Strafmilderung plädierte und den Zeugenstand betrat, um jene Prinzipien zu verleugnen, auf denen der ANC gegründet worden war. Auf die Frage, ob er glaube, es solle Gleichheit herrschen zwischen Schwarz und Weiß in Südafrika, erwiderte Dr. Moroka, so etwas werde es niemals geben. Wir fühlten uns alle in Verzweiflung versinken. Als sein Anwalt Dr. Moroka fragte, ob unter den Angeklagten auch einige Kommunisten seien, begann dieser tatsächlich mit dem Finger auf verschiedene Personen zu zeigen, darunter auch auf Dr. Dadoo und Walter. Der Richter erklärte ihm, das sei nicht notwendig.
Sein Verhalten vor Gericht war ein schwerer Schlag für unsere Organisation, und wir wußten sofort, daß seine Tage als ANC-Präsident gezählt waren. Er hatte den Kardinalfehler begangen, seinen eigenen Interessen Vorrang zu geben vor denen der Organisation und des Volkes. Dr. Moroka wollte wegen seiner politischen Überzeugung weder seine Karriere noch sein Vermögen gefährden, und so zerstörte er das Bild von sich, das er in drei Jahren beherzter Arbeit für den ANC und die Kampagne aufgebaut hatte. Ich betrachtete dies als eine Tragödie, denn Dr. Morokas Kleinmütigkeit vor Gericht nahm der Kampagne einen Teil ihres Glanzes. Der Mann, der im Land umhergereist war und die Wichtigkeit der Kampagne gepredigt hatte, ließ uns jetzt im Stich.
Am 2. Dezember wurden wir alle dessen für schuldig befunden, was Richter Rumpff als »statutarischen Kommunismus« bezeichnete, im Unterschied zu dem, wie er sagte, »was gemeinhin als Kommunismus bekannt ist«. Gemäß den Statuten des Suppression of Communism Act konnte praktisch jeder, der in irgendeiner Weise gegen die Regierung eingestellt war, als Kommunist definiert – und folglich auch als solcher verurteilt werden. Der Richter, ein an sich fairer und verständiger Mann, erklärte, daß wir zwar Handlungen geplant hätten, die von »offener Nichtbeachtung von Gesetzen bis zu etwas dem Hochverrat Gleichzusetzendem« reichten, jedoch unseren Mitgliedern immer wieder geraten hätten, »einem friedlichen Aktionskurs zu folgen und Gewalttätigkeit in jeglicher Form zu meiden«. Wir wurden zu neun Monaten Gefängnis mit Schwerarbeit verurteilt, doch die Strafe wurde für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
Uns unterliefen viele Fehler, dennoch markierte die Mißachtungskampagne ein neues Kapitel im Kampf. Die sechs Gesetze, die wir ausgesucht hatten, wurden nicht aufgehoben; aber wir hatten auch nie die Illusion gehabt, daß dies geschehen würde. Wir hatten sie ausgewählt, weil sie die unmittelbarste Belastung im Leben der Menschen darstellten und die beste
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