Der lange Weg zur Freiheit
Jahre gekommen.
4. Teil
Der Kampf ist mein Leben
Bei der Jahreskonferenz gegen Ende 1952 kam es zur Wachablösung. Der ANC wählte einen neuen, energiegeladenen Präsidenten für eine neue, aktivistischere Ära: Häuptling Albert Luthuli. In Übereinstimmung mit der ANC-Satzung wurde ich als Präsident der Provinz Transvaal einer der vier stellvertretenden Präsidenten. Außerdem ernannte mich das Nationale Exekutivkomitee zum ersten stellvertretenden Präsidenten. Luthuli war einer aus einer Handvoll amtierender Häuptlinge, die im ANC aktiv waren und der Politik der Regierung starken Widerstand entgegengesetzt hatten.
Luthuli war der Sohn eines Adventisten-Missionars. Er war im damaligen Süd-Rhodesien zur Welt gekommen und in Natal erzogen worden. Seine Ausbildung als Lehrer hatte er am Adams College bei Durban erhalten. Er war ein großgewachsener, breitschultriger, dunkelhäutiger Mann mit einem großen, breiten Lächeln. Bei ihm verband sich Bescheidenheit mit einem tiefverwurzelten Selbstvertrauen. Er besaß Geduld und Beharrlichkeit und sprach langsam und deutlich, als habe jedes Wort das gleiche Gewicht.
Ich hatte ihn Ende der 40er Jahre kennengelernt; damals war er Mitglied im Natives’ Representative Council (Vertretungsgremium für »Eingeborene«). Im September 1952, nur wenige Monate vor der alljährlichen Konferenz, war Luthuli nach Pretoria gerufen worden, wo man ihm ein Ultimatum gestellt hatte: Entweder müsse er auf seine Mitgliedschaft im ANC verzichten und seine Unterstützung der Mißachtungskampagne aufgeben, oder er würde seines Amtes als gewählter, von der Regierung bezahlter Stammeshäuptling enthoben. Luthuli war Lehrer, frommer Christ und stolzer Zulu-Häuptling, aber noch stärker fühlte er sich dem Kampf gegen die Apartheid verpflichtet. Luthuli lehnte es ab, aus dem ANC auszutreten, und daraufhin enthob die Regierung ihn seines Postens. Als Reaktion auf seine Absetzung gab Luthuli eine Grundsatzerklärung ab mit dem Titel »Die Straße zur Freiheit führt über das Kreuz«. Darin bekräftigte er erneut seine Unterstützung des gewaltlosen passiven Widerstands und rechtfertigte seine Entscheidung mit Worten, die noch heute schmerzlich klingen: »Wer will leugnen, daß ich dreißig Jahre meines Lebens damit zugebracht habe, geduldig, maßvoll und bescheiden, doch vergebens an eine verschlossene und verriegelte Tür zu klopfen?«
Ich unterstützte Häuptling Luthuli, doch es war mir nicht möglich, der nationalen Konferenz beizuwohnen. Wenige Tage vor dem Beginn der Konferenz wurden im ganzen Land 52 Führer unter Bann gestellt mit der Maßgabe, daß sie sechs Monate lang an keinerlei Treffen oder Zusammenkünften teilnehmen durften. Ich war einer von ihnen, und meine Bewegungsfreiheit war überdies für den gleichen Zeitraum auf den Distrikt von Johannesburg beschränkt.
Meine Bannungen erstreckten sich auf alle Arten von Versammlungen, nicht nur politische. Es war mir verboten, zu mehr als einer Person auf einmal zu reden. Dies war Teil eines systematischen Versuchs der Regierung, die Führer des Kampfes gegen die Apartheid zum Schweigen zu bringen, gerichtlich zu verfolgen und zu immobilisieren, und es war die erste in einer Reihe von Bannungen, die, von kurzen Freiheitsintervallen abgesehen, andauerten, bis ich einige Jahre später völlig meiner Freiheit beraubt wurde.
Bannung schränkt einen nicht nur physisch ein, sie kerkert auch den Geist ein. Sie kann zu einer Art psychischer Klaustrophobie führen, bei der man sich nicht nur nach Bewegungsfreiheit sehnt, sondern auch nach geistigem Ausbruch. Bannung war ein gefährliches Spiel, denn man war nicht gefesselt oder in Ketten hinter Gittern; die Gitter waren Gesetze und Vorschriften, die leicht verletzt werden konnten und oft auch wurden. Für kurze Zeit konnte man ungesehen davonschlüpfen und die flüchtige Illusion der Freiheit haben. Die heimtückische Wirkung der Bannungen bestand darin, daß man von einem bestimmten Punkt an zu glauben begann, der Unterdrücker befinde sich nicht außerhalb, sondern innerhalb.
Obwohl ich wegen des Banns nicht an der Jahreskonferenz 1952 teilnehmen konnte, erfuhr ich umgehend, was sich dort ereignete. Eine der wichtigsten Entscheidungen wurde im geheimen getroffen und damals nicht publik gemacht.
Mit vielen anderen war ich überzeugt, daß die Regierung den ANC und den SAIC zu illegalen Organisationen erklären wollte, genauso wie sie gegenüber der
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