Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
Vom Netzwerk:
würde sich durch einige Ungesetzlichkeiten nicht behindern lassen.
    Kurz vor der festgesetzten Räumung sollte auf dem Freiheitsplatz in Sophiatown eine außerordentliche Massenversammlung stattfinden. 10000 Menschen kamen zusammen, um Häuptling Luthuli zu hören. Doch bei seiner Ankunft in Johannesburg erhielt der Häuptling eine Bannungsanordnung, die ihn zur Rückkehr nach Natal zwang.
    Am Abend vor der Räumung sprach Joe Modise, einer der engagiertesten lokalen ANC-Führer, zu einer gespannt wartenden Schar von über 500 jugendlichen Aktivisten. Sie rechneten damit, daß ihnen der ANC den Befehl zum Kampf gegen Polizei und Armee geben würde. Sie waren bereit, über Nacht Barrikaden zu errichten und am nächsten Tag der Polizei einen Kampf mit Waffen und allem, was ihnen in die Hand fiel, zu liefern. Sie gingen davon aus, daß unser Slogan meinte, was er besagte: daß Sophiatown nur über unsere Leichen geräumt würde.
    Aber nach Rücksprache mit der ANC-Führung, darunter auch mir, forderte Joe die jungen Leute auf, sich zurückzuhalten. Sie waren zornig und fühlten sich verraten. Doch wir befürchteten, Gewalttätigkeit würde zur Katastrophe führen, und wiesen darauf hin, daß ein Aufstand sorgfältige Planung verlange und anderenfalls einem Selbstmord gleichkomme. Wir waren noch nicht bereit, den Feind mit seinen eigenen Mitteln anzugreifen.
    In den dunstigen Morgenstunden des 9. Februar riegelten 4000 Mann der Polizei und der Armee die Township ab, während Arbeiter leere Häuser dem Erdboden gleichmachten und Regierungslastwagen damit begannen, Familien von Sophiatown nach Meadowlands zu transportieren. In der Nacht zuvor hatte der ANC eine Reihe von Familien nach vorheriger Absprache evakuiert und zu anderen Familien innerhalb von Sophiatown gebracht, die den ANC unterstützten. Doch unsere Bemühungen waren zu kraftlos, und sie kamen zu spät; sie konnten nur eine verzögernde Wirkung haben. Armee und Polizei griffen erbarmungslos durch. Innerhalb weniger Wochen brach unser Widerstand zusammen. Die meisten unserer lokalen Führer waren gebannt oder verhaftet, und am Ende starb Sophiatown nicht im Lärm von Gewehrfeuer, sondern im Dröhnen der Lastwagen und Preßlufthämmer.
    Beim Beurteilen politischer Aktionen behält man immer recht, wenn man nur in der Zeitung vom nächsten Tag darüber liest. Steht man indes mitten in einem hitzigen politischen Kampf, so bleibt wenig Zeit zum Überlegen. Wir machten viele Fehler bei der Kampagne gegen die Räumungen in den Western Areas und erhielten dabei eine Reihe von Lektionen. »Über unsere Leichen« war ein dynamischer Slogan, doch erwies er sich sowohl als Hemmnis wie als Hilfe. Ein Slogan ist ein wichtiges Bindeglied zwischen der Organisation und den Massen, die sie zu führen sucht. Ein Slogan sollte eine besondere Notlage in einen kurzen kraftvollen Satz zusammenpressen und die Menschen zum Widerstand mobilisieren. Unser Slogan sprach die Phantasie der Menschen an, doch er ließ sie glauben, wir würden bis zum Tod kämpfen, um der Räumung Widerstand zu leisten. Darauf war der ANC in Wirklichkeit ganz und gar nicht vorbereitet.
    Wir boten den Menschen nie eine Alternative zum Umzug nach Meadowlands an. Als die Leute in Sophiatown sich klarmachten, daß wir weder die Regierung aufhalten noch ihnen irgendwo anders Unterkünfte beschaffen konnten, schwand ihr Widerstand dahin, und der Menschenstrom nach Meadowlands schwoll an. Viele Mieter zogen bereitwillig um, als sie feststellten, daß sie in Meadowlands mehr Platz und sauberere Unterkünfte haben würden. Wir hatten die unterschiedlichen Bedingungen für Hausbesitzer und Mieter nicht in Rechnung gestellt. Während die Hausbesitzer gute Gründe hatten zu bleiben, war für viele Mieter ein Umzug durchaus verlockend. Der ANC wurde von einer Anzahl von Afrikanisten in seinen Reihen kritisiert; sie beschuldigten die Führung, auf Kosten der Mieter die Interessen der Hausbesitzer zu schützen.
    Die Lehren, die ich aus der Kampagne zog, bestanden in der Einsicht, daß wir am Ende keine Alternative zum bewaffneten, gewaltsamen Widerstand hatten. Immer und immer wieder hatten wir all die gewaltlosen Waffen aus unserem Arsenal eingesetzt – Reden, Abordnungen, Drohungen, Märsche, Streiks, Demonstrationen, freiwillige Gefängnishaft-, alle ohne Erfolg, denn was auch immer wir unternahmen, prallte an einer eisernen Faust ab. Ein Freiheitskämpfer lernt auf harte Weise, daß der Unterdrücker die Art des

Weitere Kostenlose Bücher