Der lange Weg zur Freiheit
Abschlußprüfung an; bis auf drei bestanden alle. An vielen Orten unterrichteten improvisierte Schulen (»Kulturclubs« genannt, um nicht die Aufmerksamkeit der Behörden zu erregen) boykottierende Studenten. Die Regierung erließ anschließend ein Gesetz, nach dem nicht autorisierte Lehrangebote ein durch Geldstrafe oder Gefängnis zu ahndendes Delikt waren. Die Polizei durchsuchte diese Klubs, doch viele bestanden im Untergrund weiter. Am Ende kümmerten die Gemeindeschulen dahin, und die Eltern, vor die Wahl zwischen minderwertiger Erziehung oder gar keiner gestellt, wählten die erstere Möglichkeit. Meine eigenen Kinder gingen zur Schule der Seventh Day Adventists, die als private Einrichtung nicht auf Regierungssubvention angewiesen war.
Eine Kampagne wie diese sollte auf zwei Ebenen beurteilt werden: ob das unmittelbare Ziel erreicht wurde und ob es weitere Menschen politisierte und in den Kampf hineinzog. Auf der ersten Ebene war die Kampagne ganz eindeutig ein Fehlschlag. Wir brachten nicht im ganzen Land sämtliche Schulen zum Erliegen, und wir entledigten uns auch nicht des Bantu Education Act. Andererseits wurde die Regierung durch unseren Protest so genervt, daß sie das Gesetz modifizierte, und an einem Punkt sah sich Verwoerd zu der Erklärung genötigt, die Erziehung solle für alle gleich sein. Die Verlautbarung der Regierung vom November 1954 war ein Rückzug von der ursprünglichen Absicht, das Schulsystem auf der Stammesgrundlage zu gestalten. Am Ende hatten wir nur die Wahl zwischen zwei geringeren Übeln und optierten für die eingeschränkte Erziehung. Doch die Konsequenzen der sogenannten Bantu-Erziehung suchten die Regierung später auf unvorhergesehene Weise heim. Denn diese Erziehung brachte in den siebziger Jahren die zornigste, rebellischste Generation schwarzer Jugendlicher hervor, die das Land je gesehen hatte. Als diese Kinder der Bantu-Erziehung um die zwanzig Jahre alt waren, erhoben sie sich mit Macht.
Einige Monate, nachdem Häuptling Luthuli zum Präsidenten des ANC gewählt worden war, kehrte Professor Z. K. Matthews nach einjähriger Gastprofessur in den USA nach Südafrika zurück, im Gepäck eine Idee, die den Befreiungskampf neu strukturierte. In einer Rede vor der ANC-Jahreskonferenz am Kap erklärte Professor Matthews: »Ich frage mich, ob nicht für den Afrikanischen Nationalkongreß die Zeit gekommen ist, die Frage der Anberaumung einer nationalen Konvention zu erörtern, eines Volkskongresses, der alle Menschen in diesem Land repräsentiert, ungeachtet ihrer Hautfarbe, um eine Freiheits-Charta für das demokratische Südafrika der Zukunft zu entwerfen.«
Innerhalb von Monaten akzeptierte die nationale Konferenz des ANC den Vorschlag, und es wurde ein Rat des Volkskongresses gegründet, mit Häuptling Luthuli als Vorsitzendem sowie Walter Sisulu und Yusuf Cachalia als gemeinsame Sekretäre. Der Volkskongreß sollte eine Reihe von Prinzipien für die Gründung eines neuen Südafrika aufstellen. Vorschläge für eine neue Konstitution sollten aus dem Volk selbst kommen, und die ANC-Führer im ganzen Land wurden autorisiert, von jedermann in ihrem Bereich schriftliche Anregungen entgegenzunehmen. Die Charta sollte ein vom Volke geborenes Dokument sein.
Der Volkskongreß repräsentierte eine der beiden gedanklichen Hauptströmungen innerhalb der Organisation. Es schien unvermeidlich zu sein, daß die Regierung den ANC bannen würde, und viele argumentierten, die Organisation müsse sich darauf vorbereiten, im Untergrund, also illegal zu operieren. Zur gleichen Zeit wollten wir nicht auf die wichtigen öffentlichen politischen Veranstaltungen und Aktivitäten verzichten, die dem ANC Beachtung und Massenunterstützung einbrachten. Der Volkskongreß sollte öffentlich Kraft und Stärke ausstrahlen.
Wir alle träumten davon, daß der Volkskongreß in der Geschichte des Freiheitskampfes ein bedeutendes Ereignis sein würde – ein Konvent, der alle Unterdrückten und alle progressiven Kräfte Südafrikas vereinte, um eine Art Fanfarenstoß erschallen zu lassen für einen Wandel. Wir hofften, man werde eines Tages mit der gleichen Hochachtung auf den Volkskongreß zurückblicken wie auf den ANC-Gründungskonvent im Jahre 1912.
Zu diesem Zweck versuchte der ANC einen möglichst großen Kreis von Förderern einzubeziehen und lud rund 200 Organisationen – weiße, schwarze, indische und farbige – ein, Vertreter zu einer Planungskonferenz zu schicken, die im März
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