Der lange Weg zur Freiheit
Villiers heiterte mich sehr auf, und als ich am Morgen des 3. September das kleine Gerichtsgebäude betrat, geschah es in einem unangebrachten Gefühl von Sicherheit. Auf mich wartete bereits eine kleine Gruppe von Polizisten. Fast wortlos überreichten sie mir eine Anordnung nach dem Suppression of Communism Act. Darin wurde ich aufgefordert, aus dem ANC auszuscheiden, mich für die Dauer von zwei Jahren nur im Bereich von Johannesburg aufzuhalten und an keinerlei Treffen oder Zusammenkünften teilzunehmen. Ich hatte mit solchen Maßnahmen gerechnet, jedoch nicht erwartet, daß ich die Anordnung in der fernen Kleinstadt Villiers erhalten würde.
Ich war 35 Jahre alt, und diese neuen, strengeren Bannungen beendeten fast ein Jahrzehnt der Aktivität für den ANC, Jahre meines politischen Erwachens, meiner politischen Entwicklung und meines immer stärkeren Engagements in dem Kampf, der mein Leben geworden war. Hinfort würden all meine Aktionen und Pläne für den ANC und den Befreiungskampf heimlich und illegal sein. Nachdem ich das Papier erhalten hatte, mußte ich unverzüglich nach Johannesburg zurückkehren.
Meine Bannungen vertrieben mich aus dem Zentrum des Kampfes an den Rand, aus einer bedeutenden Funktion in eine periphere. Obwohl ich oft konsultiert wurde und die Richtung von Ereignissen beeinflussen konnte, tat ich dies doch aus der Ferne und nur dann, wenn ich ausdrücklich darum gebeten wurde. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein lebenswichtiges Organ des Körpers – Herz, Lunge oder Wirbelsäule –, sondern wie ein abgetrenntes Glied. Selbst Freiheitskämpfer hatten, zumindest damals, den Gesetzen zu gehorchen, und zu jenem Zeitpunkt wäre eine Inhaftierung aufgrund von Verstößen gegen meine Bannungen für den ANC ebenso nutzlos gewesen wie für mich selbst. Wir waren noch nicht an dem Punkt angelangt, wo wir offen Revolutionäre waren, die unverhohlen das System bekämpften, was immer der Preis sein mochte. Wir glaubten damals, es sei besser, im Untergrund zu organisieren, als ins Gefängnis zu gehen. Als ich gezwungen wurde, aus dem ANC auszuscheiden, mußte mich die Organisation ersetzen, und ob mir das nun gefiel oder nicht, ich konnte nicht mehr mit der Autorität handeln, die ich einmal besessen hatte. Während der Rückfahrt nach Johannesburg hatte die Landschaft des Freistaats längst nicht mehr die gleiche erhebende Wirkung wie zuvor.
Als ich meine Bannung erhielt, stand für den kommenden Monat die Konferenz des ANC von Transvaal schon fest, und ich hatte bereits den Entwurf zu meiner Ansprache als Präsident aufgesetzt. Nun sollte sie von Andrew Kunene, einem Mitglied der Exekutive, auf der Konferenz verlesen werden. In dieser Rede, später bekannt geworden als Rede über »Kein leichter Weg zur Freiheit« – nach einer Formulierung von Jawaharlal Nehru-, erklärte ich, daß die Massen jetzt bereit sein müßten für neue Formen des politischen Kampfes. Die neuen Gesetze und Taktiken der Regierung hätten die alten Formen des Massenprotestes – öffentliche Versammlungen, Presseerklärungen, Abwesenheitsaktionen – äußerst gefährlich und selbstzerstörerisch gemacht. Zeitungen würden unsere Statements nicht mehr bringen, Druckereien weigerten sich, unsere Flugblätter zu drucken, alles aus Angst vor Strafverfolgung unter dem Suppression of Communism Act. »Diese Entwicklungen«, schrieb ich, »verlangen die Herausbildung neuer Formen des politischen Kampfes. Die alten Methoden«, erklärte ich, seien jetzt »selbstmörderisch«.
»Die Unterdrückten und die Unterdrücker stehen einander hart auf hart gegenüber. Der Tag der Abrechnung zwischen den Kräften der Freiheit und jenen der Reaktion ist nicht mehr allzu fern. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß, wenn jener Tag kommt, Wahrheit und Gerechtigkeit obsiegen werden… Die Gefühle der Unterdrückten sind niemals bitterer gewesen. Die arge Not der Menschen zwingt sie zum Widerstand bis zum Tod gegen die stinkende Politik der Gangster, die über unser Land herrschen… Die Beseitigung der Unterdrückung wird von der Menschheit gutgeheißen und ist das höchste Ziel eines jeden freien Menschen.«
Im April 1954 beantragte die Law Society von Transvaal, die Anwaltsvereinigung, beim Obersten Gerichtshof, meinen Namen von der Liste der akkreditierten Anwälte zu streichen, und führte als Begründung an, die politischen Aktivitäten, deretwegen ich im Mißachtungs-Prozeß verurteilt worden sei, seien als
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