Der langsame Walzer der Schildkroeten
hatte Kaffee gemacht.
»Lebt sie in London?«
»Nein. In Paris.«
»Und was hindert euch daran, eure wundervolle Liebesgeschichte zu leben?«
Er richtete sich auf und griff nach seinem Hemd.
»Genug Geständnisse für heute. Und danke für diese Nacht, in der ich mich ganz besonders jämmerlich angestellt habe!«
»Ach, so was kommt vor! Lass uns kein Drama daraus machen!«
Sie trank ihren Kaffee und glich den sinkenden Flüssigkeitspegel in der Tasse durch die Zugabe von immer neuen Zuckerwürfeln aus. Er schnitt eine Grimasse.
»So mag ich ihn eben!«, sagte sie, als sie seine angewiderte Miene bemerkte. »Ich kann eine ganze Tafel Schokolade essen, ohne ein Gramm zuzunehmen!«
»Weißt du was? Ich glaube, wir werden uns wiedersehen … Hättest du Interesse?«
»Auch wenn du nicht gerade Tarzan, der König der Leidenschaft, bist?«
»Die Entscheidung liegt bei dir!«
Sie gab vor nachzudenken und setzte ihre Tasse ab.
»Einverstanden«, sagte sie. »Aber unter einer Bedingung … Du bringst mir etwas über moderne Malerei bei, du gehst mit mir ins Theater, ins Kino, du wirst mein Lehrer … Wenn sie eh in Paris wohnt, dürfte das ja kein Problem sein.«
»Ich habe einen Sohn, Alexandre. Er steht bei mir an allererster Stelle.«
»Aber abends gehst du doch nicht mit ihm weg?«
»Nein.«
»It’s a deal?«
» It’s a deal.«
Sie hatten sich als Freunde die Hand gegeben.
Er rief sie an. Nahm sie mit in die Oper. Erklärte ihr die moderne Kunst. Artig hörte sie ihm zu. Notierte sich Namen, Daten. Mit einer unerschütterlichen Ernsthaftigkeit. Anschließend brachte er sie nach Hause. Manchmal ging er mit hoch und schlief in ihren Armen ein. Manchmal, wenn ihre Hingabe, ihre Unschuld, ihre schlichte Art ihn rührten, küsste er sie, und sie fielen auf das King-Size-Bett, das den gesamten Raum ausfüllte.
Er machte sie nicht unglücklich. Darauf achtete er sehr genau. Wachsam beobachtete er das Zittern der Lippen, die ein Schluchzen zurückdrängen, oder ein Stirnrunzeln, das den Schmerz unterdrückt. Mit ihr lernte er, Emotionen zu lesen. Sie konnte nicht lügen, nichts vortäuschen. Er sagte zu ihr: Du bist verrückt! Du musst lernen, dich zu verstellen, man liest in dir wie in einem offenen Buch.
Sie zuckte mit den Schultern.
Er fragte sich, ob das mit ihnen noch lange so weitergehen konnte.
Sie hatte aufgehört, im Internet nach Männern zu suchen.
Er hatte ihr gesagt, dass sie ihre Suche nicht seinetwegen aufgeben dürfe. Dass er nicht dieser Mann sei. Der Mann, der sich um sie kümmern würde. Ich weiß, seufzte sie, ich weiß. Und dachte an den Schmerz, der sie erwartete. Denn es endete immer mit Schmerz, das wusste sie genau.
Irgendwann hatte er sie gefragt, wie alt sie war. Neunundzwanzig.
»Siehst du! Ich bin kein kleines Kind mehr!«
Als wollte sie damit sagen: Ich kann auf mich aufpassen, und ich komme in unserer merkwürdigen Beziehung genauso auf meine Kosten wie du.
Dafür war er ihr unendlich dankbar.
Seit sie auf die Antwort von Vivienne Westwood warteten, wer von ihnen beiden den Praktikumsplatz bekäme, war die Stimmung zwischen Agathe und Hortense noch angespannter als früher. Sie redeten kaum noch miteinander. Gerieten in der Wohnung immer wieder heftig aneinander. Versteckten ihre Skripte und Hefte voreinander. Agathe stand früh auf, besuchte den Unterricht, ging abends nicht mehr aus. Sie hatte begonnen, sich um die Schule zu kümmern, und in der Wohnung herrschte eine ungewohnte Stille. Hortense freute sich darüber. Endlich konnte sie ohne Ohrstöpsel arbeiten, das war ein großer Fortschritt.
Eines Abends brachte Agathe Essen vom Chinesen mit nach Hause und bot Hortense an, es mit ihr zu teilen. Hortense war misstrauisch.
»Nur wenn du alles zuerst probierst …«, entschied sie.
Agathe brach in fröhliches, kindliches Gelächter aus, rollte sich auf dem Sofa hin und her und hielt sich den Bauch.
»Glaubst du echt, ich würde dich vergiften?«
»Dir traue ich alles zu!«, knurrte Hortense, die sich selbst ein wenig lächerlich vorkam, aber trotzdem auf der Hut war.
»Von mir aus. Wenn es dich beruhigt, esse ich als Erste und gebe dir den Teller weiter … Du hast echt kein Vertrauen zu mir …«
»Absolut nicht, wenn du es genau wissen willst.«
Sie hatten auf dem hochflorigen Teppich gesessen und gegessen. Agathe hatte nichts umgeworfen. Sie hatte nicht zu viel getrunken. Hatte das Geschirr in die Küche gebracht und aufgeräumt. War zurückgekommen und
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