Der langsame Walzer der Schildkroeten
da hinten …?«
Hortense weigerte sich hinzuschauen und musterte ungerührt den Mann, der den Zwergen, die ihn umgaben, wie ein Riese erscheinen musste. Er ist am ganzen Körper behaart und hat einen Bartschatten, dachte sie und stieß ihn mit dem Blick von sich. Außerdem hat er einen kleinen gelben Fleck im Auge, wie ein Klecks Mayonnaise.
»Es könnte sein, dass du hinter dieser Badezimmertür eine Abreibung bekommst. Eine sehr schmerzhafte Abreibung …«
»Ach, wirklich?«, fragte Hortense betont herablassend, doch sie spürte, wie die Angst sie mit weißer Watte füllte und ihre Beine zittern ließ.
»Ich sag dir jetzt, was du tun wirst … Du wirst ein braves Mädchen sein, dich aus dem Wettbewerb mit Agathe zurückziehen und ihr den Platz bei Vivienne Westwood überlassen.«
»Niemals!«, rief Hortense, die jetzt das chinesische Essen, die plötzliche Ordnungsliebe ihrer Mitbewohnerin und die strebsame Atmosphäre in ihrer WG durchschaute.
»Denk darüber nach. Es tut mir weh, wenn ich mir vorstelle, was du hinter der Badezimmertür durchmachen wirst …«
»Darüber brauche ich nicht nachzudenken. Meine Antwort ist Nein.«
Agathe blieb verschwunden. Die blöde Schlampe, dachte Hortense. Und ich dachte wirklich, sie würde sich bessern! Ich hatte recht damit, ihrem netten Getue zu misstrauen.
Sie durfte vor diesen schmierigen Zuhältertypen nicht einknicken. Alle schwarz angezogen und mit spitzen Schuhen. Ist das hier ein Ferienlager oder was?
»Du hast zwei Minuten, um es dir zu überlegen. Wär doch wirklich blöd, wenn dein hübsches Gesicht Schaden nehmen würde!«
Wär doch wirklich blöd, euch die Gratiseintrittskarte in diese Welt zu verweigern, dachte Hortense und überlegte hastig. Ihr benutzt diese hirnlose Kuh Agathe, um euch heimlich ins Allerheiligste der Mode einzuschleichen. Aber nicht mit mir, ihr Mistkerle. Nicht mit mir.
Fünf Minuten verstrichen. Hortense studierte ihre Umgebung mit der gleichen Hingabe wie eine Touristin in Versailles: die vergoldeten Kommoden, die bauchigen Schubladen, das darauf ausgestellte Silbergeschirr – wollten die einen vielleicht glauben machen, dass sie zusammen Tee tranken? –, das Pendel der Uhr, das still durch die Luft schwang, die Facettenspiegel, das blank gebohnerte Parkett. Sie saß in der Falle.
»Die Zeit ist rum«, sagte sie schließlich und schaute auf ihre Uhr. »Ich muss dann mal. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und ich hoffe, ich sehe Sie nie wieder …«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür.
Einer der schmierigen Typen stand auf, versperrte ihr den Ausgang und schubste sie zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Ein anderer legte eine CD ein, die Ouvertüre zur Diebischen Elster von Rossini, und drehte die Lautstärke auf. Sie würden sie zusammenschlagen, daran gab es keinen Zweifel. Ich werde nicht schreien. Diese Freude mache ich ihnen nicht. Sie würden sie schon nicht umbringen. Viel zu viel Ärger, so eine Leiche!
»Du übernimmst das, Carlos«, sagte der Größte mit den Chef-allüren.
»Okay«, antwortete Carlos.
Er stieß sie ins Bad und warf sie zu Boden. Ging wieder hinaus. Sie stand auf und blieb einen Moment mit verschränkten Armen stehen. Er lässt mich allein, damit ich nachdenke. Jetzt reicht’s aber. Ich habe nicht vor, hier zu versauern.
Sie verließ das Bad, ging zu ihnen ins Wohnzimmer und fragte: »Was jetzt? Habt ihr etwa Schiss?«
Da sah der Typ, der sich für den Anführer hielt, rot. Er stürzte sich auf sie, schleifte sie zurück ins Bad und schleuderte sie, »du blöde Nutte!« brüllend, grob auf den Fliesenboden. Ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Ich habe ihn beleidigt, dachte Hortense. Ein Punkt für mich. Das werde ich sicher nachher noch zu spüren bekommen, aber wenigstens sind sie jetzt gewarnt. Ich lasse mir von denen nichts gefallen.
Sie zog ihre Jacke zurecht und strich sich den Staub von den Schultern. Aufrecht bleiben, ihre Würde bewahren. Das war alles, was ihr noch blieb. Die Luft war immer noch so weiß und wattig, und sie verspürte den Drang, sich zu übergeben.
Das Wichtigste war jetzt, sich nicht von ihrer Angst überwältigen zu lassen. Sie musste sie auf Distanz halten. Details zwischen sich und die Angst schieben. Konkrete Dinge. Nichts Abstraktes, das Panik erzeugt, den Geist verwirrt. Keine großen Gedanken im Stil von »das ist nicht richtig, das ist nicht gut, was ihr da macht, ich werde mich über euch beschweren« … Das
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