Der langsame Walzer der Schildkroeten
sehr schöne Uhr übrigens, ich trage sie immer noch.«
Sie hatte ihren Ärmel hochgezogen und ihm die Cartier-Uhr gezeigt.
»Die ist ziemlich viel wert, oder? Ich habe immer Angst, sie zu verlieren. Ich schaue immer wieder drauf.«
»Das trifft sich gut: Es ist eine Uhr, dazu ist sie da!«
Sie hatte laut gelacht, und dabei hatte er in ihrem weit geöffneten Mund drei Füllungen in schlechtem Zustand sehen können.
»Was machen Sie hier, Dottie?«, hatte er leicht herablassend wiederholt, als wäre sie hier am falschen Ort.
Gleich darauf hatte er seinen arroganten Ton bereut und sich auf die Lippen gebissen.
»Warum?«, hatte sie gekränkt erwidert. »Darf ich mich vielleicht nicht für Kunst interessieren? Bin ich dafür nicht schlau genug, nicht elegant genug, nicht …«
»Touché«, hatte Philippe eingeräumt. »Ich bin ein eingebildeter Trottel und …«
»Ein Snob. Arschloch. Arrogant. Gefühllos.«
»Hören Sie schon auf! Gleich werde ich noch rot …«
»Schon kapiert. Ich bin eine kleine, dämliche Buchhalterin, die sich nicht für Kunst interessieren KANN . Bloß so ein Mädchen, das man mal vögelt und danach nie wieder sieht!«
Er hatte so zerknirscht gewirkt, dass sie erneut gelacht hatte.
»Aber Sie haben ja recht. Ich finde das alles hier total bescheuert. Eine Freundin hat mich mitgeschleppt … Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich langweile! Ich habe keine Ahnung von moderner Kunst. Weiter als bis zu Turner bin ich nie gekommen, und selbst da kenne ich mich nicht aus! Gehen wir ein Bier trinken?«
Er hatte sie zum Essen in ein kleines Restaurant eingeladen.
»Ach ja, ich habe mich gesteigert. Jetzt habe ich schon Anspruch auf ein Restaurant mit weißen Tischdecken …«
»Nur für heute Abend. Und weil ich Hunger habe.«
»Ach ja, ich vergaß, Monsieur war verheiratet und wollte sich auf nichts einlassen.«
»Und so ist es immer noch …«
Sie hatte den Blick gesenkt. Sich auf die Speisekarte konzentriert.
»Na … was gibt es Neues seit Ihrem misslungenen Geburtstag?«, hatte Philippe gefragt und sich bemüht, dabei nicht allzu ironisch zu klingen.
»Ein neuer Typ und eine Trennung …«
»Oh!«
»Die Trennung per SMS . Und bei Ihnen?«
»Ungefähr das Gleiche. Eine neue Frau und eine Trennung. Aber nicht per SMS . Stumm. Ohne ein Wort der Erklärung. Das ist auch nicht besser.«
Sie hatte nicht gefragt, welche Rolle seine angebliche Frau in dieser fehlgeschlagenen Beziehung gespielt hatte. Dafür war er ihr dankbar gewesen.
Irgendwann war er bei ihr gelandet. Ohne genau zu wissen, wie.
Sie hatte eine Flasche Chardonnay geöffnet. Der braune Teddybär mit dem fehlenden Glasauge war immer noch da, genau wie die kleinen, nach Liebe schreienden bestickten Kissen und das Poster von Robbie Williams mit herausgestreckter Zunge.
Sie hatten die Nacht zusammen verbracht. Er war nicht gerade umwerfend gewesen. Sie hatte nichts dazu gesagt.
Am nächsten Morgen war er früh aufgestanden. Er wollte sie nicht wecken, aber sie hatte ein Auge geöffnet und eine Hand auf seinen Rücken gelegt.
»Machst du dich gleich aus dem Staub, oder hast du noch Zeit für einen Kaffee?«
»Ich glaube, ich mache mich aus dem Staub …«
Sie hatte sich auf einem Ellbogen abgestützt und ihn gemustert wie eine ölverklebte Möwe.
»Du bist verknallt, stimmt’s? Das weiß ich doch. Du warst nicht wirklich bei mir letzte Nacht …«
»Es tut mir leid.«
»Nein! Du tust mir leid. Also …«
Sie hatte ein Kissen genommen und es vor ihre Brüste geklemmt.
»Wie ist sie so?«
»Soll ich dir wirklich von ihr erzählen …?«
»Du musst nicht, aber es wäre besser. Da wir offensichtlich nicht zum leidenschaftlichen Liebespaar bestimmt sind, können wir es ja mal mit Freundschaft versuchen! Also, wie ist sie?«
»Von Tag zu Tag schöner …«
»Ist das wichtig?«
»Nein … Mit ihr lerne ich, das Leben auf eine neue Weise zu betrachten, und das macht mich glücklich. Sie lebt inmitten von Büchern und springt mit beiden Beinen in Pfützen …«
»Wie alt ist sie? Zwölfeinhalb?«
»Sie ist zwölfeinhalb, und alle nutzen sie aus. Ihr Exmann, ihre Schwester, ihre Töchter. Niemand behandelt sie so, wie sie es verdient, und ich möchte sie beschützen, sie zum Lachen bringen, sie dazu bringen, die Flügel auszubreiten und loszufliegen …«
»Dich hat’s ja ordentlich erwischt …«
»Aber ich bin keinen Schritt weiter! Machst du mir einen Kaffee?«
Dottie war aufgestanden und
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