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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Schlössern versperrt: Truhen, Türen, Fenster und das Tor zum Garten. Hüterin der Schlüssel war die Frau. Sie war die Herrin des Hauses.«
    »Die Macht lag also schon damals in den Händen der Frauen!«
    »Man fürchtete sich vor klimatischen Veränderungen, vor Überschwemmungen, vor der Erwärmung des Planeten. Bloß dass man damals nicht Planet sagte …«
    »Sondern das Dorf im Tal der Ubaye oder der Durance …«
    »Genau. Im Jahr eintausend gab es große Temperaturschwankungen und eine allgemeine Erwärmung, die den Wasserspiegel der Alpenseen um zwei Meter ansteigen ließ! Zahlreiche Dörfer gingen unter. Die Einwohner flohen; der Chronist Rodulfus Glaber, ein Mönch, schrieb, es habe drei Jahre lang so stark geregnet, ›dass man keine Furche mehr ziehen konnte, die die Saat aufzunehmen vermochte. Darauf folgte eine Hungersnot; blindwütiger Hunger trieb die Menschen, menschliches Fleisch zu verschlingen.‹«
    Sie redete und redete. Merkwürdig, in unseren Gesprächen arbeite ich meine Habilitationsschrift aus, ich präsentiere meine Argumente, ich teste sie, entwickle sie weiter.
    Sie gewöhnte sich an, ein kleines Notizheft in die Loge mitzunehmen, in dem sie ihre Gedanken festhielt. Während sie mit Pinsel, Rolle, Spachtel, Raspel und Beitel herumwerkelte und sich die Finger an einem Stück Parkett aufschürfte, kamen ihr neue Ideen. Viel mehr, als wenn sie vor ihrem Computer sitzen geblieben wäre. Wenn man zu lange im Sitzen nachdenkt, erschlafft man. Wenn der Körper sich regt, liefert er dem Gehirn neue Energie. Genau wie morgens beim Joggen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Unbekannte vom See dort seine Runden dreht. Sucht er Inspiration für einen Roman, ein Lied, eine moderne Tragödie?
    Monsieur Sandoz beendete diese Gespräche immer mit dem Satz: »Sie sind eine merkwürdige Frau. Ich frage mich, was die Männer wohl von Ihnen halten, wenn sie Ihnen begegnen …«
    Am liebsten hätte sie gefragt: Und Sie? Was halten Sie von mir?, aber sie traute sich nicht. Er hätte denken können, dass sie ein Kompliment erwartete. Oder dass sie hoffte, er würde sie in seiner Mittagspause zum Essen einladen, ihre Hand nehmen, ihr etwas ins Ohr flüstern und sie küssen. Es gab nur einen Mann, den sie küssen wollte. Einen Mann, den sie nicht küssen durfte.
    Und dann machten sie sich wieder an die Arbeit. Sie schmirgelten, strichen, ölten, schleppten Bauschutt, Gipskartonplatten, Stuckleisten, Grundierung.
    Immer wieder wurden sie von Iphigénie unterbrochen:
    »Wissen Sie, was wir machen könnten, wenn erst mal alles fertig ist, Madame Cortès? Wir könnten die Leute aus dem Haus einladen. Das wäre doch simpatico , finden Sie nicht?«
    »Ja, Iphigénie, muy simpatico …«
    Iphigénie wartete ungeduldig auf ihre Möbel. Schlief in Farbausdünstungen, die Fenster zum Hof weit geöffnet. Überwachte die Verwandlung ihrer Dusche, die Monsieur Sandoz zu einem richtigen Badezimmer ausbaute. Er hatte irgendwo eine alte Badewanne aufgetrieben und es geschafft, sie einzubauen. Er ließ ihr Prospekte da, damit sie die Wasserhähne aussuchen konnte. Sie schwankte zwischen einer Mischbatterie mit Steuerkugel oder einer mit Kartusche.
    »Die Leute aus dem Haus werden neidisch sein, sie werden auf mir herumhacken!«, befürchtete sie.
    »Weil Sie aus dieser Bruchbude einen kleinen Palast gemacht haben? Im Gegenteil, sie sollten Ihnen die Kosten dafür erstatten!«, entgegnete Monsieur Sandoz mit dröhnender Stimme.
    »Ich bezahle das doch gar nicht, das Geld kommt von ihr«, flüsterte Iphigénie und deutete auf Joséphine, die gerade eine abgenutzte Fußleiste von der Wand löste.
    »Sie haben das große Los gezogen, als Sie hier eingezogen sind!«
    »Man kann ja nicht immer nur Pech haben, irgendwann wird’s langweilig«, entgegnete Iphigénie und verschwand mit einem lauten Schnauben.
    Eines Morgens klingelte Iphigénie an Joséphines Tür, um die Post abzugeben. Es waren Briefe, ein paar Drucksachen und ein Päckchen.
    »Sind die Möbel noch immer nicht angekommen?«, fragte Joséphine mit einem zerstreuten Blick auf die Post.
    »Nein. Sagen Sie, Madame Cortès, nächste Woche ist doch die Eigentümerversammlung, das haben Sie nicht vergessen, oder?«
    Joséphine schüttelte den Kopf.
    »Und Sie erzählen mir danach, was sie gesagt haben, nicht wahr? Wegen meiner kleinen Feier … Das würde dem ganzen Haus guttun. Manche Leute wohnen schon seit zehn Jahren hier und reden nicht miteinander. Sie

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