Der langsame Walzer der Schildkroeten
verlegen.
»Das macht doch nichts. Es ging ja nun nicht gerade um den Staatssäckel des Pharao.«
Sein Handy klingelte, er ging ran, und Joséphine hörte ihn sagen: »Ja, meine Schöne …«
Sie wandte sich ab und verließ den Saal.
Hervé Lefloc-Pignel holte sie ein und bot ihr an, sie nach Hause zu begleiten.
»Macht es Ihnen etwas aus, zu Fuß zu gehen? Ich liebe Paris bei Nacht. Ich gehe oft spazieren. Das ist meine Art, ein wenig Sport zu treiben.«
Joséphine dachte an den Mann, der am Abend des Überfalls an einem Ast Klimmzüge gemacht hatte. Sie erschauerte und trat einen Schritt von ihm weg.
»Ist Ihnen kalt?«, fragte er, und seine Stimme war voller Aufmerksamkeit.
Sie schwieg. Die Erinnerung an den Überfall kam häufig in kleinen, schmerzhaften Schüben. Sie dachte daran, ohne wirklich daran zu denken. Solange man ihn nicht verhaftet hatte, würde der Mann mit den glatten Schuhsohlen weiter in ihren Gedanken lauern.
Sie bogen auf den Boulevard Émile Augier ein, schlenderten an der ehemaligen Bahntrasse entlang und wandten sich dann dem Park der Muette zu. Das Wetter war frühlingshaft frisch und kühl, und Joséphine schlug den Kragen ihres Regenmantels hoch.
»Nun«, fragte er, »wie fanden Sie Ihre erste Versammlung?«
»Grauenvoll! Ich hätte nie gedacht, dass es so aggressiv zugehen könnte …«
»Mademoiselle de Bassonnière überschreitet häufig die Grenzen«, stimmte er ihr gelassen zu.
»Und das ist noch freundlich ausgedrückt. Sie ist einfach nur beleidigend!«
»Ich sollte lernen, mich zu beherrschen. Jedes Mal gehe ich ihr aufs Neue auf den Leim. Dabei kenne ich sie! Aber ich falle immer wieder auf ihre Provokationen herein …«
Er schien auf sich selbst wütend zu sein und schüttelte den Kopf wie ein Pferd, dessen Halfter ihm die Luft abschnürt.
»Aber Monsieur van den Brock hat auch einiges abbekommen«, fuhr Joséphine fort. »Und Monsieur Merson! Diese Anspielungen auf sein Sexualleben!«
»Dem entgeht niemand. Aber diesmal ist sie wirklich sehr weit gegangen! Sicher um Sie zu beeindrucken.«
»Das hat Monsieur Merson auch gesagt. Er hat mir erzählt, sie hätte Akten über jeden Bewohner des Hauses angelegt …«
»Ich habe gesehen, dass Sie neben ihm saßen, Sie schienen viel Spaß zu haben.«
Eine Spur von Missbilligung klang aus seinen Worten heraus.
»Ich finde ihn witzig und recht sympathisch«, rechtfertigte sich Joséphine.
Es wurde allmählich Nacht, und der Himmel überzog sich mit dunkelvioletten Schatten. Die nach der ersten Frühlingswärme gierenden Kastanien reckten ihre zartgrünen Äste, als flehten sie um mildere Temperaturen. Joséphine stellte sich vor, sie seien gestiefelte Riesen, die sich nach dem Ende des Winters schüttelten. Aus den Wohnungen wehten Gesprächsfetzen zu ihnen heraus, und die lebhafte Stimmung hinter den halb geöffneten Fenstern bildete einen scharfen Kontrast zu den verlassenen Straßen, in denen das Echo ihrer Schritte widerhallte.
Ein großer schwarzer Hund überquerte die Fahrbahn und blieb unter einer Straßenlaterne stehen. Er musterte sie einen Moment und zögerte, ob er auf sie zulaufen oder ihnen lieber aus dem Weg gehen sollte. Joséphine legte eine Hand auf Hervé Lefloc-Pignels Arm.
»Sehen Sie, wie er uns anschaut?«
»Meine Güte, ist der hässlich!«, entfuhr es Lefloc-Pignel.
Es war eine große schwarze Dogge mit kurzem Fell, hohem Widerrist und gelben, schielenden Augen. Das schartige linke Ohr hing herunter, von dem anderen war nur noch ein unförmiger Stummel übrig. An der rechten Flanke sah man einen breiten Schnitt, wo die rosige, vernarbte Haut bloßlag. Er knurrte leise, als wollte er sie warnen, nicht näher zu kommen.
»Glauben Sie, er ist herrenlos?«, fragte Joséphine. »Er hat kein Halsband um.«
Sie betrachtete ihn zärtlich. Ihr schien, dass er sich nur an sie wandte, dass sein Blick sie von Hervé Lefloc-Pignel trennte, als bedaure er, dass sie nicht allein war.
»Die Schwarze Dogge von Brocéliande. So nannte man Du Guesclin. Er war so hässlich, dass sein eigener Vater ihn nicht sehen wollte, doch er verschaffte sich Genugtuung, indem er der tapferste Kämpfer seiner Generation wurde! Mit fünfzehn triumphierte er bei Turnieren und kämpfte maskiert, um seine Hässlichkeit zu verbergen …«
Sie streckte die Hand nach dem Hund aus, der zurückwich, sich umdrehte und mit schnellen kurzen Schritten in Richtung des Parks davonlief. Seine hohe schwarze Gestalt verlor sich in der
Weitere Kostenlose Bücher