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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Frankreich vor die Hunde gehe, das Unglück bereits geschehen sei und Laster und Ausländer im Lande regierten.
    Ein missbilligendes Raunen ging durch den Saal, und der Hausverwalter nutzte die leichte Beruhigung, um wieder zur Tagesordnung überzugehen. Bei jedem Vorschlag stimmten die Bewohner von Haus B mit Nein, die von Haus A mit Ja, und die Stimmung heizte sich wieder auf. Instandsetzung der Türen zu den Gemeinschaftsbereichen im Hof? Ja. Ausbesserung der Zinkverblendungen? Ja. Sanierung des Müllraums und Anschaffung passender Behälter? Ja.
    Joséphine beschloss, sich an einen blauen Ozean mit Palmen und weißem Sandstrand zurückzuziehen. Sie stellte sich kleine Wellen vor, die um ihre Knöchel schwappten, Sonne, die ihr auf den Rücken schien, Sand, der an ihrem Bauch klebte, und entspannte sich. Von weit, weit her hörte sie Satzfetzen, barbarische Begriffe wie »Bildung spezieller Rücklagen«, »Modalitäten der Einsichtnahme« oder »Dachstuhl und Dachbekleidung«, die ihr Paradies störten, doch sie träumte einfach weiter. Sie hatte Shirley von dem Satz erzählt, den Philippe auf das Vorsatzblatt des Buches geschrieben hatte.
    »Und wann kommt ihr endlich zur Sache, Jo?«
    »Du bist albern!«
    »Spring in den Eurostar und komm ihn besuchen. Niemand wird davon erfahren. Wenn du willst, leihe ich euch meine Wohnung! Ihr braucht nicht einmal vor die Tür zu gehen.«
    »Ich sag’s dir noch mal, Shirley, das ist unmöglich! Ich kann nicht.«
    »Wegen deiner Schwester?«
    »Wegen einer Sache, die sich Gewissen nennt. Schon mal davon gehört?«
    »Das ist, wenn man Angst vor der Strafe Gottes hat?«
    »Wenn du so willst …«
    »Oh! By the way , ich muss dir etwas Witziges erzählen …«
    »Aber nichts Unanständiges? Du weißt, dass mir so was immer peinlich ist.«
    »Doch, doch, genau so was … Hör zu. Neulich habe ich bei einem Empfang einen sehr interessanten, sehr attraktiven, sehr charmanten Mann kennengelernt. Wir sehen uns an, er gefällt mir, ich gefalle ihm, wir fragen, wir sagen Ja, wir verdrücken uns, wir gehen essen, wir gefallen uns immer noch, wir verschlingen einander mit Blicken, wir kosten, wir wägen ab, und wir landen im Bett … bei ihm. Ich gehe immer mit ins feindliche Lager, um notfalls das Feld räumen zu können. Das ist praktischer.«
    »Shirley …«, stöhnte Joséphine, die intime Geständnisse näher kommen sah.
    »Wir legen uns also hin, es geht los, und ich bin gerade dabei, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen – die Einzelheiten erspare ich dir angesichts deiner Defizite in Bezug auf Sinnlichkeit und Leidenschaft –, als der Kerl auf einmal zu stöhnen anfängt, mit dem Kopf aufs Kissen hämmert und immer wieder › Oh! My God! Oh! My God! ‹ murmelt. Da werde ich sauer, höre auf, stütze mich auf einem Ellbogen ab und korrigiere ihn: ›It’s not God! It’s Shirley!‹«
    Joséphine hatte entmutigt geseufzt.
    »Ich fürchte, ich bin ich eine ziemliche Schlaftablette im Bett …«
    »Und deshalb hast du Angst vor einer Liebesnacht mit Philippe?«
    »Nein! Überhaupt nicht!«
    »Doch, natürlich …«
    »Ja, du hast schon recht, manchmal denke ich mir, dass er mit weniger verklemmten Frauen als mir zusammen gewesen sein muss …«
    »Daher kommt also deine ganze Tugendhaftigkeit! Ich war schon immer der Meinung, dass die Menschen lediglich aus Furcht oder Faulheit tugendhaft sind. Danke, Jo, du hast meine Theorie bestätigt …«
    Joséphine hatte ihr erklärt, dass sie leider auflegen müsse, sonst komme sie zu spät zur Versammlung.
    »Ist dein attraktiver Nachbar mit den glühenden Augen auch da?«, hatte Shirley gefragt.
    »Ja, bestimmt …«
    »Und ihr werdet Arm in Arm plaudernd nach Hause gehen …«
    »Du denkst auch immer nur an das eine, Shirley!«
    Shirley stritt es nicht ab. Es ist uns nur so wenig Zeit auf dieser Erde gegeben, Jo, also lass sie uns nutzen. Und ich, dachte Joséphine, während die letzten Worte der Versammlung zu ihr durchdrangen und sie hörte, wie die ersten Teilnehmer aufstanden, ich muss mich jeden Abend im Spiegel ansehen, dem Mädchen im Spiegel in die Augen schauen und ihm sagen: »Das war doch ganz ordentlich heute, ich bin stolz auf dich.«
    »Wollen Sie hier übernachten?«, erkundigte sich Monsieur Merson. »Wir anderen sind nämlich fertig …«
    »Oh, entschuldigen Sie, ich habe geträumt …«
    »Das habe ich gemerkt, man hat Sie ja überhaupt nicht mehr gehört!«
    »Ups«, entgegnete Joséphine

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