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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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dazwischen. Er stand auf, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und Lefloc-Pignel setzte sich wieder, nicht ohne der Schlange noch einen letzten finsteren Blick zuzuwerfen. Von dieser Szene ging eine eigenartige Gereiztheit aus. Als probten sie mit vollem Einsatz ein Theaterstück, dessen Ablauf alle bereits zur Genüge kannten.
    »Meine Güte, wie aggressiv!«, entfuhr es der entsetzten Joséphine. »Ich hätte niemals geglaubt, dass …«
    »So läuft das hier immer«, entgegnete Monsieur Merson seufzend. »Lefloc-Pignel drängt die Eigentümergemeinschaft zu Ausgaben, von denen die knauserige Bassonnière Magengeschwüre bekommt. Er ist fest entschlossen, seinem Stand entsprechend zu residieren, deshalb soll das Haus Eindruck machen. Sie hingegen krallt sich wie ein Wucherer an jeden Cent. Außerdem hat es den Anschein, als wüsste sie einiges über seine Herkunft, was er lieber geheim hielte. Ja, ja, Sie sehen, in Gesellschaft dieser feinen Herrschaften verfalle sogar ich in den Konjunktiv. Normalerweise rede ich eher wie ein Fuhrmann daher …«
    Er musterte sie lächelnd und klopfte sich auf die Brust.
    »Wie auch immer, Sie haben sehr zarte Hand- und Fußgelenke. Sehr zart, sehr schön, sie schreien geradezu danach, liebkost zu werden …«
    »Monsieur Merson!«
    »Ich mag hübsche Frauen. Ich glaube sogar, ich mag alle Frauen. Ich verehre sie. Ganz besonders, wenn sie sich hingeben … Dann erreicht die weibliche Schönheit eine nahezu mystische Vollkommenheit! Das ist in meinen Augen ein Beweis dafür, dass Gott existiert. Eine Frau, die Lust empfindet, ist immer schön.«
    Er pfiff erregt, schlug die Beine übereinander, stellte die Füße wieder nebeneinander und warf Joséphine einen raubtierhaften Blick zu. Unwillkürlich musste sie lachen.
    Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Was glauben Sie, wie die Bassonnière wohl beim Sex ist? Total verkrampft oder offen und hingebungsvoll? Ich wette, sie liegt da mit drei Vorhängeschlössern am Keuschheitsgürtel. Und trocken wie die Wüste Gobi. Weder weich noch sinnlich. Schade!«
    Und da Joséphine nicht antwortete, erzählte er ihr hinter vorgehaltener Hand, was einen Anschein von Vertrautheit erweckte, der nicht unbemerkt blieb, von der glorreichen Vergangenheit der Familie Bassonnière.
    Mademoiselle de Bassonnière stammte aus einer verarmten Adelsfamilie, der anfangs das ganze Haus gehört hatte und dazu noch zwei, drei weitere im selben Viertel. Sie war erst neun Jahre alt, als sie, das Ohr an die Tür des Arbeitszimmers ihres Vaters gedrückt, die dumpfen Klagelaute eines ruinierten Mannes hörte. Er schilderte seiner Frau den jämmerlichen Zustand ihrer Finanzen und erklärte, dass sie sich damit abfinden müssten, nacheinander ihren gesamten Immobilienbesitz zu veräußern. »Wir können froh sein, wenn es uns gelingt, eine standesgemäße Wohnung zur Straße hinaus zu behalten!«, hatte er gesagt, am Boden zerstört bei der Vorstellung, sich von diesem Erbe zu trennen, das es ihm erlaubte, Polopferde und Mätressen zu halten und sich mittwochabends dem Pokerspiel zu widmen. Damals lebte die Familie im vierten Stock des Vorderhauses, der Wohnung, die inzwischen den Lefloc-Pignels gehörte.
    Doch das war nur der erste schwere Schlag für Sibylle de Bassonnière gewesen. Die Schulden ihres Vaters wuchsen unaufhörlich an; sie war achtzehn, als sie das Vorderhaus verlassen und in die schlichte Dreizimmerwohnung zum Hof in Haus B ziehen mussten, die einst ihre alte Haushälterin Mélanie Biffoit mit ihrem Mann, dem Chauffeur von Monsieur de Bassonnière, bewohnt hatte. Was hatte sie nicht für Spötteleien über die arme Mélanie gehört, die sich mit so wenig zufriedengab! »So sind die Armen nun mal«, sagte ihre Mutter oft, »gib ihnen einen Kanten Brot, und sie küssen dir die Hand. Man tut ihnen nichts Gutes, wenn man sie zu sehr verwöhnt! Still den Hunger eines Armen, und er wird toll.«
    Einmal mittellos, hatte Mademoiselle de Bassonnière beschlossen, ihre Bedürftigkeit in den Rang eines heiligen Amtes zu erheben. Sie rühmte sich, den Verlockungen des Geldes, des Ruhms oder der Macht nicht ein einziges Mal nachgegeben zu haben, und vergaß nur zu gerne, dass keine einzige dieser Versuchungen je an sie herangetragen worden war. So war sie also zu einer verbitterten alten Jungfer geworden. Wie sie ihrem Vater vorwarf, die Familie ruiniert zu haben, so hielt sie alle Männer für schwache, hasenfüßige, verschwenderische Kreaturen. Nach einem langen

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