Der langsame Walzer der Schildkroeten
hingegen will dem Bild des pater familias zu altem Glanz verhelfen.«
»Man kann von einem Vater auch Güte und Zärtlichkeit lernen«, entgegnete Joséphine und blickte zum Himmel auf.
»Das ist die Aufgabe der Mutter«, korrigierte sie Hervé Lefloc-Pignel.
»Bei uns zu Hause war es umgekehrt!«, sagte Joséphine lächelnd.
Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu und schaute hastig wieder weg. Er hatte etwas Scheues an sich, etwas Geheimnisvolles. Sie hatte das Gefühl, dass er lange zögerte, sich jemandem anzuvertrauen, aber wenn er es schließlich doch tat, würde er sich rückhaltlos öffnen.
»Iphigénie, die Concierge, möchte anlässlich der Renovierung ihrer Loge eine kleine Feier veranstalten … Mit allen Leuten aus dem Haus.«
Sie erreichten den Park, und Joséphine erschauerte erneut. Sie verringerte den Abstand zwischen ihnen, als könnte der Mörder jederzeit hinter ihrem Rücken auftauchen.
»Das ist keine besonders gute Idee. Die Leute im Haus reden nicht miteinander.«
»Meine Schwester Iris kommt auch …«
Das hatte sie gesagt, um ihn zum Kommen zu überreden. Iris blieb ihr Sesam-öffne-dich, ihr magischer Schlüssel. Der alle Türen öffnete. Sie erinnerte sich daran, wie sie als Kind, wenn sie Freunde nach Hause einladen wollte und diese sich widerstrebend zeigten, voller Scham darüber, sie nicht aus eigener Kraft überreden zu können, hinzufügte, »meine Schwester ist auch da«. Und sie kamen. Und sie fühlte sich noch elender.
»Na gut, dann komme ich auch kurz vorbei. Um Ihnen eine Freude zu machen.«
Unwillkürlich dachte sie, dass er sich zu Iris hingezogen fühlen würde. Und dass Iris überrascht sein würde, dass sie einen so attraktiven Mann kannte. Hör endlich auf, dich mit ihr zu vergleichen, du dumme Nuss! Sonst wirst du für alle Zeiten unglücklich sein. Man verliert immer, wenn man sich mit anderen vergleicht.
Im Aufzug verabschiedeten sie sich mit einem knappen Nicken. Er wirkte wieder so distanziert wie eh und je, und sie fragte sich, ob das derselbe Mann war wie der, der ihr vorhin sein Herz geöffnet hatte.
Zoé war nicht in ihrem Zimmer. Wahrscheinlich war sie wieder unten im Keller von Paul Merson. Sie fragte nicht mehr um Erlaubnis.
So kann das doch nicht weitergehen, wandte sie sich an die Sterne, die Ellbogen auf das Balkongeländer gestützt. Helft mir! Macht, dass sie mit mir spricht. Dieses Schweigen ist unerträglich.
Sie starrte eine Weile in die dunkelviolette Nacht. Ihr Nacken begann zu schmerzen, doch sie würde so lange zum Himmel aufschauen, bis die Sterne ihr antworteten, und wenn sie zu einem Stück Holz werden sollte. Auch egal, dann würde sie eben zu einem Stück Holz!
Sie wartete. Versprach, es wiedergutzumachen, wenn sie Zoé verletzt haben sollte, versprach, sie zu verstehen, versprach, sich selbst infrage zu stellen, nicht feige davonzulaufen, wenn es ein Problem gab. Sie ließ alle Gedanken los und blieb zum Himmel hin aufgerichtet stehen. Die großen Bäume im Park schwankten sacht, als leisteten sie ihr beim Warten Gesellschaft. Sie schlüpfte zwischen ihre Äste und legte dort ihren Wunsch ab, damit er zum Himmel aufsteigen und erhört werden möge.
Bald bemerkte sie, dass der kleine Stern am Ende des Großen Wagens funkelte. Er sandte ihr einen, zwei, drei Blitze, wie eine Botschaft in Morsesprache. Sie schrie leise auf.
Sie ging hinein und legte sich beglückt ins Bett. Sie konnte den nächsten Tag kaum abwarten. Oder den übernächsten. Oder den überübernächsten … Sie hatte keine Eile mehr.
Sibylle de Bassonnière öffnete den Deckel ihres Abfalleimers und verzog das Gesicht. Von den Resten stieg der ranzige Geruch fetten Fischs auf. Sie beschloss, ihn gleich nach unten zu bringen. Heute Abend hatte sie Lachs gegessen, und der Mülleimer stank. Aus und vorbei, Lachs nehme ich nie wieder. Er ist teuer, klebt beim Braten in der Pfanne fest, und dann stinkt er auch noch. Er stinkt in der Pfanne, er stinkt im Abfalleimer, der Gestank setzt sich sogar in meinen Vorhängen fest. Das brutzelnde Lachsfett riecht man noch tagelang. Jedes Mal falle ich auf diesen Fischhändler und seine Lobeshymnen herein, Omega-3-Fettsäuren, gutes und schlechtes Cholesterin! Von jetzt an nehme ich Heilbutt. Der ist billiger und stinkt nicht. Maman hat freitags immer Heilbutt gemacht.
Sie zog den Morgenrock an, den sie bei Damart bestellt hatte, schlüpfte in ihre Pantoffeln, streifte ein Paar Gummihandschuhe über und griff nach dem
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