Der langsame Walzer der Schildkroeten
traurig, Du Guesclin. So schrecklich traurig …«
Er neigte den Kopf, als wollte er ihr signalisieren, dass er zuhörte.
»Ich liebe einen Mann, und ich dachte, er liebt mich auch, aber ich habe mich geirrt. Das ist mein Problem, weißt du, ich bin viel zu vertrauensselig …«
Er schien sie zu verstehen und darauf zu warten, dass sie weitersprach.
»Eines Abends haben wir uns geküsst, einen richtigen, leidenschaftlichen Kuss, und danach hatten wir eine Woche zusammen … eine Woche voller wahnsinniger, unvernünftiger Liebe. Wir redeten nicht miteinander, berührten einander kaum, aber wir verschlangen einander mit Blicken. Es war so schön, Du Guesclin, es war stark, es war leidenschaftlich, es war zärtlich … Und dann … ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist … dann habe ich ihn weggeschickt. Und er ist gegangen.«
Sie lächelte ihn an, streichelte seine Schnauze.
»Und jetzt sitze ich hier auf einer Bank und heule, weil ich erfahren habe, dass er sich mit einer jungen Frau trifft, und das tut weh, Du Guesclin, es tut so weh.«
Er schüttelte den Kopf, und der Speichel verfing sich in dem Fell an seinen Lefzen. Ein klebriger, in der Sonne glitzernder Faden.
»Du bist ein seltsamer Hund … Hast du immer noch kein Herrchen?«
Er senkte den Kopf, als wollte er sagen: So ist es, ich habe kein Herrchen, und verharrte in dieser merkwürdigen Haltung mit seinem Halsband aus klebrigen Speichelfäden.
»Was erwartest du denn von mir? Ich kann dich nicht mitnehmen.«
Mit einer Hand streichelte sie die wulstige Narbe an seiner rechten Flanke. Sein borstiges Fell war an einigen Stellen von Krusten verklebt.
»Lefloc-Pignel hat recht. Du bist wirklich hässlich. Du hast Ekzeme … Du hast keinen Schwanz. Eines deiner Ohren hängt, und das andere ist bloß noch ein Stumpf. Du hast nicht gerade einen Schönheitspreis verdient!«
Er schaute sie mit glasig gelbem Blick an, und sie bemerkte, dass sein rechtes Auge verquollen und milchig war.
»Man hat dir ein Auge ausgestochen! Du armer alter Kerl!«
Sie streichelte ihn, während sie mit ihm sprach, und er ließ es sich gefallen. Weder knurrte er, noch wich er zurück. Er beugte den Nacken unter der Liebkosung und kniff die Augen zusammen.
»Wirst du gerne gestreichelt? Ich wette, du bist eher Fußtritte gewöhnt.«
Er stöhnte leise, als stimmte er ihr zu, und sie lächelte erneut.
Sie suchte nach einer Tätowierung im Ohr, inspizierte die Innenseite seiner Beine. Doch sie fand nichts. Er legte sich ihr zu Füßen und wartete hechelnd. Sie erkannte, dass er Durst hatte. Deutete mit dem Finger auf das schmutzige Wasser des Sees und schämte sich sofort dafür. Was er wollte, war ein sauberer Napf mit frischem, klarem Wasser. Sie schaute auf die Uhr. Sie würde zu spät kommen. Hastig stand sie auf, und er folgte ihr. Lief neben ihr her. Groß und schwarz. Die Verse von Cuvelier kamen ihr in den Sinn:
Mich deucht, von Rennes bis Dinan war keiner so furchtbar anzuschau’n
Stumpfnasig und dunkel, verwachsen und ungeschlacht
Vater und Mutter verabscheuten ihn so sehr
Dass sie oft in ihrem Herzen wünschten
Er sei tot oder ertränke im reißenden Fluss.
Die Leute wichen zur Seite, um sie vorbeizulassen. Am liebsten hätte sie laut gelacht.
»Hast du gesehen, Du Guesclin? Sie haben Angst vor dir!«
Sie blieb stehen, sah ihn an und seufzte.
»Was soll ich denn jetzt mit dir machen?«
Er wiegte sich in den Hüften, als wollte er sagen: Ach, hör schon auf zu überlegen, nimm mich mit. Mit seinem schönen gesunden Auge, das die Farbe von altem Rum hatte, blickte er sie flehend an und schien auf ihre Zustimmung zu lauern. Auge in Auge maßen sie einander. Er wartete zuversichtlich, sie wog zögernd ab.
»Wer soll sich denn um dich kümmern, wenn ich zum Arbeiten in die Bibliothek fahre? Was, wenn du bellst oder heulst? Was wird Mademoiselle de Bassonnière dann sagen?«
Seine Schnauze schmiegte sich in ihre Hand.
»Du Guesclin!«, stöhnte Joséphine. »Das ist vollkommen unvernünftig.«
Sie hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, er folgte ihr auf den Fersen. Blieb stehen, wenn sie stehen blieb. Lief weiter, wenn sie wieder losging. Erstarrte zu Stein an der ersten roten Ampel, lief los, als sie zum Überqueren ansetzte, passte sich ihrem Schritt an, rannte ihr nicht vor die Füße. Er folgte ihr bis zu ihrem Haus. Schlüpfte hinter ihr durch, als sie die Tür öffnete. Wartete mit ihr auf den Aufzug. Drängte sich hinein, flink wie ein
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