Der langsame Walzer der Schildkroeten
zerstrubbelt … und dass Alexandre nichts sagt, um ihn nicht zu beunruhigen, weil – und jetzt pass auf, ich dachte, ich sterbe, als ich das gehört habe –, er sagt, dass Philippe fröhlicher wirkt, seit er sich mit dieser Frau trifft, dass er sich verändert hat. Er weiß alles, sage ich dir! Er kennt sogar ihren Namen … Dottie Doolittle. Ach, Jo, ich glaube wirklich, ich muss sterben …«
Ich sterbe auch, dachte Joséphine und ließ sich gegen einen Baumstamm sinken.
»Ich bin so unglücklich, Jo. Was soll denn jetzt aus mir werden?«
»Vielleicht hat Alexandre das ja nur erfunden?«, antwortete Joséphine und klammerte sich an diese Hoffnung.
»Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Als er es mir erzählte, klang er wie ein kleiner Lehrer, ruhig, gelassen. Als wollte er mir sagen, ist doch nicht schlimm, Maman, mach kein Drama daraus … Er hat sogar ein merkwürdiges Wort verwendet, er hat gesagt, das mit diesem Mädchen sei sicher nur ›eine Phase‹. Ist er nicht lieb? Das hat er gesagt, um mir eine Freude zu machen … Ach, Jo!«
»Wo bist du denn jetzt?«
»Am Bahnhof St. Pancras. In drei Stunden bin ich in Paris. Kann ich dann gleich zu dir kommen?«
»Ich muss noch mit Iphigénie zum Einkaufen …«
»Wer ist das denn schon wieder?«
»Meine Concierge. Ich habe ihr versprochen, ihr bei den Einkäufen für ihre Feier zu helfen …«
»Ich komme trotzdem. Ich will jetzt nicht allein bleiben.«
»Ich wollte ihr auch noch ein bisschen bei den Vorbereitungen helfen …«, wandte Joséphine ein, weil sie es Iphigénie versprochen hatte.
»Du bist nie für mich da, wenn ich dich brauche. Du kümmerst dich um Gott und die Welt, aber nie um mich!« Ihre Stimme zitterte, sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Ich bin am Ende, erledigt, reif für den Müll. Ich bin alt!«
»Ach was, hör auf damit!«
»Kann ich gleich zu dir kommen? Ich habe meine Tasche dabei. Ich will nicht allein bleiben. Dann werde ich verrückt …«
»Einverstanden. Wir treffen uns bei mir.«
»Das habe ich wirklich nicht verdient. Oh, wenn du wüsstest, wie er mich angeschaut hat. Er hat mich gar nicht richtig gesehen, es war grauenvoll!«
Benommen legte Joséphine auf. »Man kann jemanden, der einen liebt, dazu bringen, den Blick zu senken, nicht aber jemanden, der einen begehrt. Ich liebe und begehre dich.« Sie hatte es geglaubt. Sie hatte diese Liebesworte genommen und sich darin eingewickelt wie in ein Banner. Ich verstehe nichts von den verschlungenen Wegen der Liebe. Ich bin so naiv. So ahnungslos … Ihre Beine trugen sie nicht mehr, sie ließ sich auf eine Bank fallen.
Sie schloss die Augen und sprach die Worte »Dottie Doolittle«. Sie ist jung, sie ist hübsch, sie trägt kleine Ohrstecker, sie hat eine niedliche Zahnlücke, sie bringt ihn zum Lachen, sie ist niemandes Schwester, sie tanzt zu Rockmusik und singt La Traviata , sie kennt die Sonette von Shakespeare und das Kamasutra. Sie hat mich weggefegt wie ein totes Blatt. Und ich werde mich auf dem Boden zusammenkrümmen wie ein totes Blatt. Ich werde mein einsames Leben wiederaufnehmen. Ich kann allein leben. Nein, ich kann allein überleben. Das zweite Kopfkissen bleibt leer und glatt, beim Zubettgehen schlägt man nur eine Seite auf und lässt den ganzen Platz für den anderen, der nicht kommt, obwohl man mit gesenktem, verstocktem Haupt auf ihn wartet. Und stets umfangen einen die vertrauten kalten Arme der Traurigkeit, von der man bereits ahnt, dass sie einem bis in alle Ewigkeit treu bleiben wird. Allein, allein, allein. Nicht einmal ein flüchtiger Traum, den ich hegen, ein Filmausschnitt, den ich anschauen könnte. Dabei habe ich mich am Heiligabend mit solchem Ungestüm auf ihn gestürzt! Meine kindliche Naivität, als er mich küsste, mein Traum von der ersten großen Liebe, den ich ihm darbrachte. Für ihn bin ich wieder zum Kind geworden. Ich war zu allem bereit. Auf ihn zu warten, in der Ferne auszuharren, seine Liebe aus ein paar auf ein Vorsatzblatt gekritzelten Worten herauszulesen. Das hätte genügt, damit ich mich monatelang, jahrelang geduldete.
Sie spürte einen Atemhauch auf ihrem Arm und öffnete erschreckt die Augen.
Ein schwarzer Hund schaute sie mit schräg gelegtem Kopf an.
»Du Guesclin!«, stammelte sie, als sie den herrenlosen schwarzen Hund vom Vortag erkannte. »Was machst du denn hier?«
Ein Speichelfaden hing ihm von den Lefzen. Es schien ihn zu bekümmern, sie so unglücklich zu sehen.
»Ich bin
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