Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
Vom Netzwerk:
die breite Allee, die zum See führte, erkannte die Boule-Spieler wieder, die jeden Samstagmorgen herkamen. Samstags spielten Paare. Die Frauen brachten ein Picknick mit. Eine Kühltasche mit Rosé, hart gekochten Eiern, kaltem Hähnchen und Mayonnaise.
    Sie setzte zu ihrer ersten Runde an. Lief ihr Tempo. Sie hatte ihre Wegmarken: die rot-ockerfarbene Hütte des Bootsverleihers, die Parkbänke entlang der Strecke, die Bambushecke, die so weit in den Weg hineinwucherte, dass sie sich an ihr vorbeizwängen musste, der dürre, gerade Baum, den sie den »Indianer« getauft hatte und der ihr verriet, dass die Hälfte geschafft war. Sie traf die üblichen Verdächtigen, denen sie jeden Samstag begegnete: den alten Herrn, der vornübergebeugt und heftig keuchend joggte, einen dicken, schwarzen, verträumten Labrador, der vergaß, dass er ein Männchen war, und sich zum Pinkeln hinhockte, einen Berner Sennenhund, der sich immer an der gleichen Stelle ins Wasser stürzte und sofort wieder rauskam, als hätte er eine lästige Aufgabe hinter sich gebracht, Männer, die zu zweit nebeneinander herliefen und sich über die Arbeit unterhielten, junge Frauen, die sich über Männer beklagten, die kein anderes Gesprächsthema kannten als ihre Arbeit. Es war noch etwas zu früh für den mysteriösen Spaziergänger. Samstags kam er immer erst gegen Mittag. Das Wetter war schön, sie fragte sich, ob er vielleicht seinen Schal oder die Mütze abgelegt hatte. Dann könnte sie sein Gesicht sehen, ihn als freundlich oder unwirsch einstufen. Vielleicht ist er berühmt und will nicht belästigt werden. Eines Morgens war sie Albert von Monaco begegnet, ein anderes Mal Amélie Mauresmo. Sie war zur Seite getreten, um sie vorbeizulassen, und hatte ihr applaudiert.
    Von der Insel schwebte das schrille »Miööh-Miööh« der Pfauen herüber. Belustigt beobachtete sie einen Erpel, der kopfüber nach seinem Futter tauchte. Neben ihm wartete eine Ente, zufrieden wie eine Ehefrau im Sonntagsstaat. Manche Jogger rochen nach Seife, andere nach Schweiß. Manche musterten die Frauen, andere beachteten sie gar nicht. Es war ein Reigen immer gleicher Leute, die hier im Kreis liefen, schwitzten, litten und weiter ihre Kreise zogen. Sie war gerne Teil dieser Welt wirbelnder Derwische. Nach und nach leerte sich ihr Kopf, sie spürte, wie sie zu schweben begann. Die Probleme lösten sich von ihr wie Fetzen abgestorbener Haut.
    Das Klingeln ihres Handys rief sie zur Ordnung. Sie las Iris’ Namen auf dem Display und ging ran.
    »Jo?«
    »Ja«, antwortete Joséphine und blieb keuchend stehen.
    »Störe ich dich?«
    »Ich bin gerade beim Joggen.«
    »Können wir uns heute Abend sehen?«
    »Natürlich sehen wir uns heute Abend! Hast du das vergessen? Die Feier bei meiner Concierge? Und danach wollten wir zusammen essen … Sag jetzt nicht, du hättest es vergessen.«
    »Ach ja, stimmt.«
    »Du hattest es vergessen …«, erkannte Joséphine verletzt.
    »Nein, das ist es nicht, aber … Ich muss unbedingt mit dir reden! Ich bin in London, Jo, es ist so furchtbar …«
    Ihre Stimme brach, und Joséphine erschrak.
    »Ist etwas passiert?«
    »Er will sich scheiden lassen! Er hat gesagt, dass alles aus ist zwischen uns, dass er mich nicht mehr liebt. Jo, ich glaube, das überlebe ich nicht. Bist du noch da?«
    »Ja, ja«, flüsterte Joséphine.
    »Er hat eine andere.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja. Ich hatte es schon geahnt, so, wie er mit mir sprach. Er sieht mich gar nicht mehr, Jo, ich bin unsichtbar geworden. Es ist grauenvoll!«
    »Nicht doch … Das bildest du dir bloß ein!«
    »Nein, glaub mir. Er hat gesagt, dass es aus sei, dass wir uns scheiden lassen würden. Und dann hat er mich über Nacht ins Hotel geschickt. Oh, Jo, kannst du dir das vorstellen? Und als ich heute Morgen noch einmal zurückgegangen bin, um mit ihm zu reden, da war er weggegangen, um einen Kaffee zu trinken. Du weißt doch, wie gern er morgens allein in einem Straßencafé sitzt und Zeitung liest. Also habe ich mit Alexandre gesprochen, und er hat mir alles erzählt!«
    »Was hat er dir erzählt?«, fragte Joséphine mit klopfendem Herzen.
    »Er hat mir erzählt, dass sich sein Vater mit einer Frau trifft, dass er mit ihr ins Theater und in die Oper geht, dass er häufig bei ihr übernachtet, dass er morgens immer rechtzeitig zurückkommt, damit Alexandre nichts merkt, dass er seinen Schlafanzug anzieht und so tut, als wäre er gerade aufgestanden, dass er gähnt, sich die Haare

Weitere Kostenlose Bücher