Der langsame Walzer der Schildkroeten
also, wenn sich zwei lieben, dann die beiden. Sie kleben aneinander wie zwei Karamellbonbons.«
Henriette stampfte vor Ärger mit dem Fuß auf.
»Soll das heißen, die reiben sich immer noch aneinander? Das ist ja widerlich!«
»Oh, nein, Madame, das ist total süß! Sie müssten sie nur mal sehen. Das gibt einem Hoffnung. Wenn man für sie arbeitet, glaubt man ganz fest an die große Liebe.«
Henriette hielt sich beim Weggehen die Nase zu.
Anschließend bemühte sie sich, die Concierge des Hauses auf ihre Seite zu ziehen, um von ihr Informationen zu erhalten, die ihr, klug eingesetzt, weiterhelfen könnten. Doch sie verwarf diesen Gedanken wieder. Sie konnte sich weder vorstellen, das Kind zu entführen, noch einen Schläger anzuheuern, um die Mutter aus dem Weg zu räumen.
Sie und Marcel waren noch nicht geschieden, sie legte ihm tausend Steine in den Weg, erfand tausend Ausflüchte, schob den schicksalhaften Tag, an dem er seine Freiheit wiedergewinnen würde und Josiane zu seiner rechtmäßigen Ehefrau machen könnte, immer weiter hinaus. Das war ihr einziger Trumpf: Sie war noch verheiratet und nicht bereit, sich scheiden zu lassen. Das Gesetz schützte sie.
Sie musste das Eisen mit sicherer, behutsamer Hand schmieden. Marcel war nicht dumm. Er konnte gnadenlos sein. Sie hatte ihn schon so erlebt. Er vernichtete gefährliche Feinde mit seinem Chorknabenlächeln, bezwang seine Gegner im Handumdrehen.
Ich werde einen Weg finden, sagte sie sich jeden Tag, wenn sie hinter der prunkvollen Karosse des verhassten Kindes die Avenue des Ternes, die Avenue Niel, die Avenue de Wagram und die Avenue Foch entlangstöckelte. Diese Wanderungen erschöpften sie. Ihre jüngere, kräftigere Rivalin schob den Kinderwagen schwungvoll vor sich her. Mit blutenden Füßen kehrte sie nach Hause zurück, badete ihre Zehen in einem Becken mit Salzwasser und grübelte. Ich habe mich noch nie unterkriegen lassen, und ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass dieser widerliche alte Lottersack mich zugrunde richtet.
Manchmal gönnte sie sich am frühen Morgen, wenn das erste Tageslicht durch die Vorhänge lugte, einen Luxus, den sie aufgrund seiner Seltenheit ungemein schätzte: Tränen. Sie vergoss knausrige, kalte Tränen beim Gedanken daran, wie strahlend, wie angenehm ihr Leben hätte verlaufen sollen, hätte sich das Schicksal nicht so grausam gegen sie gewendet. Grausam, wiederholte sie mit einem zornigen Schluchzen. Ich hatte einfach kein Glück, das Leben ist eine Lotterie, und ich habe das falsche Los gezogen. Ganz zu schweigen von meinen Töchtern, höhnte sie, aufrecht im Bett sitzend. Die eine ist unansehnlich und gewöhnlich und will mich nicht mehr sehen, und die andere ist flatterhaft und verwöhnt und hat die Chance ihres Lebens sausen lassen, weil sie Madame de Sévigné sein wollte. Was für eine Idee! Musste sie sich unbedingt als Bestsellerautorin ausgeben? Sie hatte doch alles. Einen reichen Mann, eine herrliche Wohnung, ein Haus in Deauville und Geld, das sie nach Belieben zum Fenster hinauswerfen konnte. Und glauben Sie mir, fügte sie hinzu, als redete sie mit einer imaginären Freundin, ihre Fenster standen immer weit offen! Aber sie musste ja lieber eine andere sein, musste sich solch fruchtlosen Träumen hingeben, sich als Schriftstellerin aufspielen. Heute dämmert sie in einer Klinik vor sich hin. Ich besuche sie nicht: Sie deprimiert mich. Außerdem ist die Klinik so weit weg, und diese öffentlichen Verkehrsmittel … Mein Gott, wie schaffen es diese Leute bloß, sich jeden Tag in diese Viehwaggons zu quetschen? Nein, danke!
Als sie wieder einmal das junge Dienstmädchen nach Bekannten von Marcel und seiner Nutte ausfragte – so nannte sie Josiane in ihren Selbstgesprächen –, erfuhr sie, dass Joséphine demnächst zum Abendessen erwartet wurde. Monsieur und Madame sprachen darüber. Joséphine beim Feind! Sie könnte ihr trojanisches Pferd werden. Sie musste sich unbedingt mit ihr versöhnen. So dumm und naiv, wie sie war, würde sie bestimmt nicht misstrauisch werden.
Ihre Entschlossenheit wurde noch gesteigert, als eines Tages, während sie gerade an einer roten Ampel darauf wartete, ihre Verfolgung fortzusetzen, zu ihrer Überraschung Marcels Auto neben ihr hielt.
»Na, Alte«, dröhnte Gilles, der Fahrer, »vertreten Sie sich ’n bisschen die Beine? Schnappen Sie frische Luft? Sie entdecken wohl gerade die Freuden des Laufens wieder, was?«
Sie hatte den Kopf abgewandt, den Blick starr
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