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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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ist nicht daran gestorben?«, rätselte Josiane.
    »Sie meinen, er hat es überlebt?«
    »Das würde das geschlossene Auge und die Narbe erklären …«
    Josiane dachte einen Moment nach, dann sagte sie: »Deshalb haben Sie Marcel auch gefragt, wie Sie diese Frau erreichen können, diese Mylène … Sie wollen wissen, ob sie auch etwas von ihm gehört hat!«
    »Sie war die Geliebte meines Mannes. Wenn er uns geschrieben hat, dann bestimmt auch ihr. Oder er hat sie angerufen …«
    »Ich weiß, dass sie neulich mit Marcel telefoniert hat. Sie spricht oft von Ihren Töchtern und erkundigt sich, wie es ihnen geht. Sie hat ihn um Ihre Adresse gebeten, um Ihnen eine Weihnachtskarte zu schicken.«
    »Sie hat Sinn für Traditionen. Mir ist aufgefallen, dass Menschen, die im Ausland leben, stärker auf solche Dinge achten. In Frankreich neigt man dazu, es zu vergessen. Marcel hat also ihre Adresse …«
    »Er hat mir heute Morgen den Zettel gezeigt, auf dem er sie notiert hat. Er wollte nicht vergessen, sie Ihnen zu geben.«
    Sie stand auf, suchte auf einem der Nachttische, entdeckte ein Blatt Papier, las, was darauf stand, und reichte es ihr.
    »Ich glaube, das ist sie … Jedenfalls sind das die letzten Informationen, die er von ihr hat. Sie ruft ihn hin und wieder an, wenn es Probleme gibt …«
    »Und das gefällt Ihnen nicht?«
    Josiane lächelte und zuckte mit den Schultern.
    »Dieses Mädchen ist clever. Also nehme ich mich in Acht … Sie wissen doch, Geld macht sexy! Die hübschen Scheine radieren seine Speckrollen weg, und ruckzuck wird mein dicker Knuddelbär zum schmucken Adonis.«
    Als Philippe sie nach dem Essen zurück nach Hause fuhr, dachte Joséphine bei sich, dass sie Josiane sehr gerne mochte. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie in Marcels Büros in der Avenue Niel gewesen war, hatte sie von ihr nur ein verstümmeltes Bild gewonnen: das einer Kaugummi kauenden Sekretärin hinter ihrem Schreibtisch. Die Worte ihrer Mutter hatten ein Übriges getan: »Dieses Flittchen von einer Sekretärin«, hatte Henriette sie immer genannt und dabei jede Silbe einzeln ausgespien. Über das Bild der Frau ohne Unterleib hatte sich ein weiteres Bild geschoben: das einer frivolen, gewöhnlichen Frau, grell geschminkt wie eine Karnevalsmaske. Und dabei ist sie genau das Gegenteil, dachte Joséphine seufzend. Sie ist gutherzig, sanft, aufmerksam. Weich.
    Shirley und Gary hatten sich von ihnen verabschiedet, um noch einen Spaziergang durch das Marais zu machen. Philippe lenkte schweigend die große Limousine. Im Radio lief ein Bach-Konzert. Alexandre und Zoé plauderten auf der Rückbank angeregt miteinander. Hortense streichelte mit den Fingerspitzen den Umschlag mit den zweihundert Euro. Der Regen, in den sich schlaffe Schneeflocken mischten, zeichnete zögerliche Kreise auf die Windschutzscheibe, die die Scheibenwischer mit ihrem gleichmäßigen Pas de deux wegwischten.
    Draußen an den zitternden, mit brennenden Lichterketten geschmückten Bäumen sah sie die Weihnachtsdekoration der Champs-Élysées und der Avenue Montaigne. Weihnachten! Silvester! Neujahr! So viele Rituale, um den schlotternden Bäumen einen Grund zu geben, sich mit Girlanden zu schmücken! Man könnte uns für eine Familie halten, die nach Hause fährt, es ist Sonntagnachmittag, die Kinder werden sich die Zeit vertreiben, während wir das Abendessen vorbereiten. Wir sind gerade erst vom Tisch aufgestanden, niemand hat Hunger, aber wir werden uns zwingen, etwas zu essen. Joséphine schloss die Augen und lächelte. Ich träume immer »Ehe«, niemals »Laster«. Ich bin eine langweilige Frau. Ich habe überhaupt keine Fantasie. Bald fährt Philippe zurück nach London. Morgen oder übermorgen wird er Iris in der Klinik besuchen. Was sagte er ihr bei diesen Begegnungen? War er zärtlich? Nahm er sie in die Arme? Und sie? Wie verhielt sie sich? War Alexandre immer dabei?
    Philippes warme, sanfte Hand schloss sich um ihre, streichelte sie. Sie erwiderte den Druck, doch dann fürchtete sie, die Kinder könnten etwas bemerken, und machte sich von ihm los.
    In der Eingangshalle trafen sie auf Hervé Lefloc-Pignel, der hinter seinem Sohn Gaétan herrannte und brüllte: »Komm zurück, komm so-fort zurück, ich sagte, sofort!« Er lief an ihnen vorbei, öffnete die Tür und stürzte hinaus auf die Straße.
    Sie durchquerten die Eingangshalle und gingen zum Aufzug.
    »Hast du gesehen? Seine Haare waren total verwuschelt!«, flüsterte Zoé. »Dabei sieht der

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