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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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gespenstische, namenlose Angst erklären, die sich anschleicht und mich umfängt? Ich muss aufhören, mir kitschige Geschichten auszudenken, um mich zu beruhigen, muss aufhören, mich in die Arme charmanter Männer zu flüchten. Das ist keine Lösung.
    »Joséphine, was ist los?«, fragte Philippe besorgt.
    »Ich weiß es nicht …«
    »Du kannst mir alles sagen, das weißt du doch.«
    Sie schüttelte den Kopf. Wie ein Dolchstoß durchfuhr sie die doppelte Gewissheit, allein und in Gefahr zu sein. Sie wusste nicht, woher sie diese Gewissheit nahm. Sie sah ihn an und wurde wütend. Wie kann er sich seiner bloß so sicher sein? Sich meiner so sicher sein? Sich so sicher sein, dass er allein ausreicht, um mich glücklich zu machen? Als ob das Leben so einfach wäre! Plötzlich empfand sie seinen Wunsch, sie zu beschützen, als ein Eindringen in ihre Privatsphäre, als unerträgliche Arroganz.
    »Du irrst dich, Philippe. Du bist keine Lösung. Du bist für mich ein Problem.«
    Verblüfft sah er sie an.
    »Was ist denn los mit dir?«
    Sie starrte mit weit geöffneten Augen ins Leere.
    »Du bist verheiratet. Mit meiner Schwester. Bald fährst du zurück nach London; vorher besuchst du noch Iris, das ist normal, sie ist deine Frau, aber sie ist auch meine Schwester, und das ist nicht normal.«
    »Joséphine! Hör auf!«
    Sie bedeutete ihm mit einer Geste, zu schweigen, und fuhr fort: »Zwischen uns wird nie etwas möglich sein. Wir haben uns etwas zusammenfantasiert. Wir haben ein Märchen erlebt, ein Weihnachtsmärchen, aber … Jetzt bin ich wieder auf die Erde zurückgekehrt. Frag mich nicht, wie, ich weiß es nicht.«
    »Aber … in den letzten Tagen schien es, als …«
    »In den letzten Tagen habe ich geträumt … Das ist mir jetzt klar geworden …«
    Das war also dieses Unglück, dessen Nahen sie gespürt hatte? Sie musste auf ihn verzichten, und jedes Wort, das sie von ihm trennte, war wie ein Stich ins Herz. Sie wich einen Schritt zurück, dann noch einen und fuhr fort: »Oder willst du etwa das Gegenteil behaupten? Nicht einmal du kannst daran etwas ändern. Iris wird immer zwischen uns stehen.«
    Er musterte sie, als hätte er sie nie zuvor gesehen, als kenne er diese harte, entschlossene Joséphine nicht.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Vielleicht hast du recht … vielleicht auch nicht …«
    »Ich fürchte, ich habe recht.«
    Sie war von ihm weggetreten und betrachtete ihn mit verschränkten Armen.
    »Ich ziehe es vor, jetzt gleich zu leiden. Auf einen Schlag … statt langsam zugrunde zu gehen.«
    »Wenn es das ist, was du willst …«
    Sie nickte stumm und schlang die Arme fester um ihren Körper, damit sie sich ihm nicht entgegenstreckten. Wich noch weiter zurück. Gleichzeitig flehte sie stumm: Du sollst protestieren, mich zum Schweigen bringen, mich knebeln, mich verrückt nennen, mein verrückter Schatz, meine geliebte Verrückte, meine süße Verrückte, warum sagst du das, erinnere dich doch. Er starrte sie reglos an, und in seinem finsteren Blick zogen die zurückliegenden Tage vorbei, ihre gemeinsamen Tage, Hände, die einander unter dem Tisch streifen, die sich im Halbdunkel eines Flurs finden, das verstohlene Streicheln beim Griff nach dem Mantel, beim Aufhalten einer Tür, beim Entgegennehmen der Schlüssel, die behutsam gemurmelten Küsse und der lange, lange Kuss in der Küche, der Geschmack von Backpflaumen, Truthahnfüllung, Armagnac … Die Bilder zogen wie ein Stummfilm in Schwarz-Weiß in seinem Blick vorbei, und sie konnte ihre Geschichte von seinen Augen ablesen. Dann blinzelte er, der Film hielt an, er fuhr sich mit den Händen durchs Haar und ging wortlos hinaus. Er blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, wollte noch etwas hinzufügen, besann sich eines Besseren und schloss die Tür hinter sich.
    Sie hörte, wie er seinen Sohn rief.
    »Alex, Programmänderung, wir fahren nach Hause.«
    »Aber die Simpsons sind noch nicht aus, Papa! Nur noch zehn Minuten!«
    »Nein! Sofort! Hol deinen Mantel …«
    »Zehn Minuten, Papa!«
    »Alexandre …«
    »Du bist doof!«
    »Alexandre!«
    Er hatte seine Stimme um einen Ton angehoben. Herrisch, grob. Joséphine erschauerte. Diese Stimme kannte sie nicht. Diesen Mann kannte sie nicht, der Befehle erteilte und erwartete, dass sie befolgt wurden. Sie horchte in das darauffolgende Schweigen hinein, spitzte die Ohren, hoffte, die Tür würde sich öffnen, hoffte, er würde zurückkommen, sagen: Joséphine…
    Die Küchentür öffnete sich

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