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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Typ sonst immer aus wie geleckt!«
    »Er war fuchsteufelswild, ich möchte jetzt nicht sein Sohn sein!«, flüsterte Alexandre zurück.
    »Seid still, da kommen sie wieder!«, zischte Hortense.
    Hervé Lefloc-Pignel hatte seinen Sohn beim Jackenkragen gepackt und zerrte ihn durch die Halle. Vor dem großen Spiegel blieb er stehen und brüllte: »Sieh dich an, du kleiner Mistkerl! Ich hatte dir verboten, sie anzufassen!«
    »Aber ich wollte sie doch nur ein bisschen frische Luft schnappen lassen! Sie langweilt sich! Wir langweilen uns alle zu Hause! Wir dürfen nichts machen! Ich hab die Nase voll von den Farben, die du uns vorschreibst, ich will Karos! Karos!«
    Das letzte Wort hatte er hinausgeschrien. Sein Vater schüttelte ihn grob, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ängstlich hob das Kind die Arme, um sich zu schützen, und ließ dabei einen runden, braunen Gegenstand fallen. Hervé Lefloc-Pignel stieß ein wildes Gebrüll aus.
    »Sieh nur, was du getan hast! Heb sie auf, heb sie auf!«
    Gaétan bückte sich, nahm das Ding und hielt es seinem Vater aus Furcht vor einem Schlag mit ausgestreckten Armen hin. Hervé Lefloc-Pignel griff danach, setzte es vorsichtig auf seine Handfläche und streichelte es.
    »Sie bewegt sich nicht mehr! Du hast sie umgebracht! Du hast sie umgebracht!«
    Er beugte sich über den Gegenstand und redete leise auf ihn ein.
    Dank mehrerer Spiegel konnten sie die Szene beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Philippe bedeutete ihnen mit einer Geste, leise zu sein. Geräuschlos betraten sie den Aufzug.
    »Jedenfalls ist das tatsächlich der Lefloc-Pignel, den ich kenne … Er hat sich nicht verändert. Wie sich die Leute doch manchmal aufregen können!«, sagte Philippe, als er die Wohnungstür hinter sich schloss.
    »Sie sind einfach mit ihren Nerven am Ende«, antwortete Joséphine seufzend. »Überall herrscht Gewalt. Ich spüre sie jeden Tag, auf der Straße, in der Métro, es scheint, als ertrügen die Menschen sich gegenseitig nicht mehr. Sie schreien einander wegen jeder Kleinigkeit an, es fehlte nicht viel, und sie würden einander an die Gurgel gehen. Das macht mir Angst. Früher hatte ich nie so grundlos Angst …«
    »Ich wage mir gar nicht auszumalen, was dieser arme Junge durchmacht!«, sagte Philippe.
    Sie standen in der Küche, die Mädchen und Alexandre waren im Wohnzimmer und schalteten den Fernseher ein.
    »Dieser Hass in seiner Stimme … Ich dachte schon, er würde ihn umbringen.«
    »Mach es nicht dramatischer, als es ist.«
    »Doch, glaub mir. Ich spüre Hass und Groll in der Luft. Sie durchdringen jeden Bereich des Lebens.«
    »Na, komm! Wir öffnen eine schöne Flasche Wein, kochen eine große Schüssel Pasta und vergessen das Ganze!«, schlug Philippe vor und legte die Arme um sie.
    »Ich weiß nicht, ob das reichen wird«, seufzte Joséphine und erstarrte.
    Das Unbehagen verdichtete sich, ergriff Besitz von ihr, hüllte sie in einen schweren dunklen Mantel. Sie schwankte. Alles verschwamm. Sie wollte sich nicht mehr an ihn schmiegen.
    »Übertreib nicht! Er ist einfach nur ausgeflippt! Ich werde dich niemals zu einem Fußballspiel mitnehmen. Du würdest vor Angst sterben!«
    »Ich muss jedes Mal weinen, wenn ich im Fernsehen eine Werbung für L’ami Ricoré sehe! Ich wünsche mir dann immer, Teil dieser glücklichen Familie zu sein …«
    Sie drehte sich zu ihm um und rang sich ein zitterndes Lächeln ab, um die Verzweiflung, die sie lähmte, mit ihm zu teilen.
    »Ich bin da, ich werde dich beschützen … Mit mir an deiner Seite hast du nichts zu befürchten«, sagte er.
    Joséphine lächelte zerstreut. Sie war abgelenkt. Die Szene, die sie gerade miterlebt hatten, hatte etwas vage Vertrautes gehabt. Eine Aggressivität, eine laute Stimme, eine böse Geste. Sie zermarterte sich das Hirn, um sich zu erinnern. Es gelang ihr nicht, doch sie fühlte sich bedroht. Ein weiteres Geheimnis aus ihrer Kindheit, das bald an die Oberfläche kommen würde? Ein weiteres Drama, das enthüllt würde? Wie viele Dramen verdrängt man als Kind, um nicht länger darunter zu leiden? Sie hatte schließlich dreißig Jahre lang vergessen, dass ihre Mutter sie um ein Haar hatte ertrinken lassen. Vorhin in der Eingangshalle, zwischen Spiegel und Grünpflanzen, da hatte sich eine andere Bedrohung in ihr Leben geschlichen. Ein flüchtiger Schatten, heraufbeschworen durch nichts als einen Tonfall, und doch war sie vor Schreck erstarrt. Ein einziger Ton. Sie erschauerte. Wie soll ich diese

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