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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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trank einen Schluck von ihrem Tee und verzog das Gesicht. Bitter, viel zu bitter! Sie hatte den Tee zu lange ziehen lassen.
    In der Küche klingelte das Telefon. Sie zögerte. Und wenn es Antoine war? Wenn er ihre Adresse hatte, wusste er sicher auch ihre Telefonnummer. Nicht doch! Ich habe eine Geheimnummer! Beruhigt ging sie ran.
    »Erinnern Sie sich noch an mich, Joséphine, oder haben Sie mich inzwischen vergessen?«
    Luca! Sie bemühte sich um einen unbeschwerten Ton.
    »Hallo, Luca! Wie geht es Ihnen?«
    »Wie höflich Sie klingen!«
    »Hatten Sie schöne Feiertage?«
    »Ich hasse diese Jahreszeit. Alle fühlen sich verpflichtet, einander zu küssen, widerliche Truthähne zu braten …«
    Unvermittelt hatte sie wieder den Geschmack des Truthahns im Mund und schloss die Augen. Zehneinhalb Minuten, in denen sich die Erde unter den Füßen auftut, zehneinhalb Minuten flüchtigen Glücks.
    »Ich habe Weihnachten mit einer Mandarine und einer Dose Ölsardinen verbracht.«
    »Ganz allein?«
    »Ja. Das mache ich immer so. Ich hasse Weihnachten.«
    »Manchmal ändert man auch seine Gewohnheiten … Wenn man glücklich ist.«
    »Was für ein gewöhnliches Wort!«
    »Wenn Sie das sagen …«
    »Und wie war es bei Ihnen, Joséphine? Sie scheinen ja fröhliche Feiertage verbracht zu haben …«
    Seine Stimme klang düster.
    »Warum sagen Sie das, wenn Sie nicht ein Wort davon glauben?«
    »Aber ich glaube es doch, Joséphine, ich kenne Sie. Ein Nichts versetzt Sie in Entzücken. Und Sie lieben Traditionen.«
    Sie hörte den herablassenden Ton in seinem letzten Satz, aber sie ignorierte ihn. Sie wollte sich nicht streiten, sie wollte verstehen, was gerade in ihr vorging. Ohne dass es ihr bewusst war, löste sich etwas in ihr. Fiel ab. Ein Stückchen vertrocknetes Herz. Sie erzählte vom Feuer im Kamin, von den leuchtenden Augen der Kinder, von den Geschenken, vom verkohlten Truthahn, ja, sie erwähnte sogar die Füllung aus Quark und Backpflaumen, wie eine himmlische Gefahr, der sie sich zu stellen wagte, und verspürte nichts als eine wohltuende Unaufrichtigkeit, eine neue Freiheit. Da erkannte sie, dass sie nichts mehr für ihn empfand. Je länger sie redete, desto stärker verblasste er. Der schöne Luca, der sie erschauern ließ, wenn er ihre Hand nahm und sie in die Tasche seines Dufflecoats schob, verschwand wie ein Schatten im Nebel. Man verliebt sich, und eines Tages steht man wieder auf und ist nicht mehr verliebt. Wann hatte dieses Entlieben angefangen? Sie wusste es noch ganz genau: ihr Spaziergang um den See, das Gespräch der jungen Joggerinnen, der sich schüttelnde Labrador, Luca, der ihr nicht zuhörte. An jenem Tag war ihre Liebe brüchig geworden. Philippes Kuss an der Ofentür hatte ihr nur den Gnadenstoß versetzt. Ohne es zu bemerken, war sie von einem Mann zum anderen hinübergeglitten. Hatte Luca die Gloriole abgenommen, um Philippe damit zu schmücken. Die Liebe hatte sich in Luft aufgelöst. Hortense hatte recht: Man wendet sich einen Moment ab, man bemerkt ein Detail, und alles Anziehende ist verschwunden. Dann ist es also nur eine Illusion?
    »Möchten Sie ins Kino gehen? Haben Sie heute Abend Zeit?«
    »Äh … nun, Hortense ist da, und eigentlich möchte ich die Zeit mit ihr verbringen, solange …«
    Er schwieg. Sie hatte ihn gekränkt.
    »Gut. Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder Zeit haben … und nichts Besseres zu tun.«
    »Bitte, Luca, es tut mir leid, aber sie kommt nicht oft, und …«
    »Ich habe schon verstanden: das liebend Herz einer Mutter!«
    Sein spöttischer Ton verärgerte Joséphine.
    »Geht es Ihrem Bruder wieder besser?«
    »Er wurde eingewiesen …«
    »Oh …«
    »Fühlen Sie sich bloß nicht verpflichtet, sich nach ihm zu erkundigen. Sie sind zu höflich, Joséphine. Zu höflich, um aufrichtig zu sein …«
    Sie spürte Zorn in sich aufsteigen. Er wurde zu einem Eindringling, mit dem sie nicht länger reden wollte. Verwundert und mit einer gewissen Selbstsicherheit betrachtete sie dieses neue Gefühl. Sie brauchte nur diesen Zorn zu aktivieren, und schon würde er als Hebel wirken und ihn über Bord werfen. Ein Mann im Meer ihrer Gleichgültigkeit. Sie zögerte.
    »Joséphine? Sind Sie noch da?«
    Seine Stimme klang ironisch, leichtfertig. Sie gab sich einen Ruck.
    »Sie haben recht, Luca, es ist mir vollkommen egal, wie es Ihrem Bruder geht, der mich die ganze Zeit als dusselige Kuh beschimpft, ohne dass Sie ihm widersprechen!«
    »Er leidet, er kommt einfach nicht mit

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