Der langsame Walzer der Schildkroeten
zum unheilvollen gelben Stern der Nationalsozialisten, die dieses Zeichen der mittelalterlichen Symbolik entlehnt haben.
Wohingegen Grün … Denk an das Grün, ermahnte sich Joséphine, während sie die Bäume, die Rasenflächen, die Bänke betrachtete. Atme den Sauerstoff ein, der als Dunst von den zarten Blättern fällt. Fülle deine Augen mit grünem Gras, mit dem Grün des Wassers, mit der Farbe des Eimers des kleinen Kindes, das Gras über seinen Sandkuchen streut. Grün, die Farbe des Lebens, der Hoffnung, symbolisiert häufig das Paradies, doch wenn es einen leichten Schwarzstich aufweist, beschwört es das Böse herauf, und man muss sich vor ihm in Acht nehmen. Mich vor dem Schwarz hüten, das in meinen Kopf drängt. Nicht unter dem Ruß des Zorns ersticken. Sie ist meine Schwester, sie ist meine Schwester. Sie leidet. Ich muss ihr helfen. Einen weißen Mantel um sie legen. Licht. Was geschieht mit mir? Früher habe ich mich doch auch nie aufgeregt, wenn sie mich nach ihrer Pfeife tanzen ließ. Ich produzierte weder Gelb noch Schwarz. Ich gehorchte. Ich senkte den Blick. Ich errötete. Rot, Farbe des Todes und der Leidenschaft, die Henker waren rot gekleidet, die Kreuzfahrer trugen ein rotes Kreuz auf der Brust. Rot waren auch die Kleider der Huren und der Ehebrecherinnen. Rot das Blut der Frau, die sich von ihren Fesseln befreit und wütend wird … Ich bin dabei, mich zu verändern. Ich wachse, wie eine zornige Jugendliche, die gegen die Autorität rebelliert. Sie lachte. Ich emanzipiere mich, ich mache eine Bestandsaufnahme meiner neuen Gefühle, ich bewerte sie, wäge sie ab, mir wird kalt, heiß, und ich löse mich von Iris, ich gehe davon, schimpfend wie ein kleines Mädchen, aber ich gehe.
Du Guesclin rannte hin und her. Er lief mit kleinen, schnellen Schritten, die Schnauze dicht über dem Boden, und schnüffelte gierig. Heftete die Nase an die Spuren anderer Vierbeiner, die vor ihm vorbeigekommen waren. Er bewegte sich in bald größeren, bald kleineren Kreisen vorwärts. Aber er kehrte immer wieder zu ihr zurück. Sie war der Mittelpunkt seines Lebens. Im hellen Tageslicht erkannte man an seinen Flanken Striemen vom gleichen kränklichen Rosa wie auch die Haut Schwerstverbrannter, und über seine Schnauze zogen sich zwei schwarze Spuren, als trüge er eine Zorro-Maske. Er lief davon, streifte umher, beschnüffelte einen Hund, wässerte einen Strauch, einen auf dem Boden liegenden Ast, lief weiter, kehrte zurück und sprang vor ihre Füße und feierte das Wiedersehen nach einer langen Trennung.
»Hör auf, Du Guesclin, du wirfst mich noch um!«
Er schaute sie hingebungsvoll an, sie streichelte seinen Kopf, von der Schnauze bis hoch zu den Ohren. Er ging drei Schritte dicht an ihrer Seite, die breite Schulter an ihren Oberschenkel gedrückt, dann rannte er wieder los, um herumzuschnüffeln oder ein herabfallendes Blatt in der Luft aufzufangen. Er raste so unvermittelt los, dass sie erschrak, um dann abrupt wieder stehen zu bleiben, weil er eine Beute gewittert hatte, die es aufzuspüren galt.
In der Ferne bemerkte sie Hervé Lefloc-Pignel und Monsieur van den Brock, die gemeinsam um den See schlenderten. Dann sind sie also befreundet. Sie gehen sonntags zusammen spazieren. Sie lassen ihre Frauen und ihre Kinder zu Hause, um Männergespräche zu führen. Antoine führte niemals »Männergespräche«. Er hatte keinen Freund. Er war ein Einzelgänger. Sie hätte gern gewusst, worüber sie redeten. Beide hatten einen roten Pullover über die Schultern gelegt. Sie sahen aus wie zwei Brüder, deren Mutter ihnen die Kleider herausgelegt hat. Besorgt schüttelten sie den Kopf. Sie schienen unterschiedlicher Meinung zu sein. Börse? Geldanlagen? Antoine hatte nie Glück mit Aktien gehabt. Jedes Mal, wenn er ein Wertpapier ins Auge gefasst hatte, das ihm schnell große Gewinne versprach, stürzte die Aktie ab. »Abstürzen«, das war das Wort, das er verwendete. Er hatte seine ganzen Ersparnisse in Eurotunnel-Aktien investiert, und damals hatte er nur gesagt: »Sie sind böse abgestürzt.« Und jetzt klaute er ihr die Bonuspunkte aus dem Intermarché! Armer Tonio! Ein Obdachloser, der in der Métro lebt und Plastiktüten mit gestohlenen Lebensmitteln füllt. Irgendwann wird er zurückkommen und an meiner Tür klingeln. Er wird mich um Obdach und Essen bitten … und ich werde ihn aufnehmen. Sie blickte dieser Möglichkeit vollkommen gelassen entgegen. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, dass er
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