Der Lavagaenger
ihrer Reise nach Südland jenen Kartengruß nach Deutschland zu schicken, weniger eigentlich an Hans Kaspar Brügg als an die vergessene Frau in ihrem Innern.
Dass sie Hans Kaspar noch einmal begegnen sollte, ahnte Siyakuu nicht. Dass sie sich Malinowski anschloss, war eher der Versuch, sich von dem, was gewesen war, endlich zu lösen.
XXII
Mit Malinowski bereiste Siyakuu Indien und Nepal. Während der Professor alte Sanskrittexte studierte und mit Vorträgen vor britischen Honoratioren die Reisekasse aufbesserte, schrieb Siyakuu all jene Geschichten und Lieder auf, die sie mit Alexa im Brunnen ausgetauscht hatte. Sie fühlte daraus, so schmerzvoll die Erinnerung an jene Zeit auch war, eine große Kraft aufsteigen, ein stetiger Quell, klar und rein.
Als der zweite Jahrhundertkrieg auch im fernen Osten zu Ende ging, fuhren sie von Kalkutta aus auf einem Schiff voller Engländer, die ihre Kolonie wieder in Besitz nehmen wollten, nach Singapur. Dort aber saßen sie fest.
Das Ziel Malinowskis schien auf absehbare Zeit unerreichbar: Nan Madol, Dutzende künstliche Inseln vor der Karolineninsel Ponape, uralte Bauten aus schwarzem Basalt, nicht mehr von Menschen bewohnt, nur noch von Legenden. Malinowski hielt sie für die Paläste der Könige von Rutas.
Dass die These seiner Existenz in der wissenschaftlichen Welt ebenso versunken war wie der Kontinent selbst im Pazifik, befeuerte nur Malinowskis Ehrgeiz. Doch nicht nur im übertragenen Sinn lag Nan Madol im Jahr 1946 außerhalb der Welt, zumindest von den Territorien der Alliierten aus, denn auf den Karolinen wimmelte es nach wie vor von japanischen Stützpunkten, die von den Amerikanern beim sogenannten Inselhüpfen, dem Kampf Insel für Insel, umgangen worden waren.
Tagelang trieb sich Malinowski im Hafen herum, ohne eine Schiffsverbindung ausfindig machen zu können. Nächtelang brütete er im Hotel über seiner verschlissenen Landkarte,die Lampe mit einem Tuch abgedeckt, um Siyakuu nicht zu stören.
Eines Nachts wurde sie jedoch von einem heftigen Ausruf Malinowskis aus dem Schlaf gerissen. Unmöglich, rief er erregt, das ist doch unmöglich. Immer wieder schlug er mit dem Handrücken auf eine vor sich entfaltete Zeitung. Hör dir das an:
… hat der deutsche Ethnologe Professor von Zumpfhagen, 1940 von Himmler ausgeschickt, in aller Welt nach den Spuren der Arier zu suchen, erklärt, das Ende des Krieges bedeute nicht das Ende der Wissenschaft
… Hört, hört! …
Er werde beweisen, dass die blonden und bärtigen Vorfahren der Inka
… Warum sagt er nicht gleich Arier?! …
Polynesien besiedelt hätten.
Edvard, bitte, schrei nicht so, es ist zwei Uhr. Übrigens hast du mir selbst von rothaarigen Insulanern erzählt.
Siyakuu, ich bitte dich! Malinowski hieb mit der Faust auf den Tisch. Das ist unmöglich! Nach den deutschen Völkermorden erst recht. So eine Hypothese ist unzumutbar . Hör doch, was dieser Sumpfwagen sagt:
Es ist von bezwingender Logik, dass der Pazifik von Amerika aus, von nordischen Menschen besiedelt worden ist. Denn im Westen Polynesiens wohnen doch nur dunkelhäutige und primitive Naturvölker, entfernte Verwandte der Neger! … Ich,
also Zumpfhagen,
werde dies beweisen und von Peru aus mit einem Floß den Pazifik überqueren.
Los, los, wir müssen sofort nach Nan Madol. Wir brauchen Beweise für Rutas’ Existenz. Dass wir dorther kommen und von nirgendwo anders. Sollten wir aber diese Beweise nicht finden, dann …
Was dann, Edvard?
Dann verfasse ich persönlich und pfundweise Schriften über die West-Ost-Besiedlung Polynesiens. Dieser Dumpfmagen darf nicht recht behalten. Und sollte meine eigene Theorie darüber zugrunde gehen.
Malinowski stocherte mit dem Zeigefinger auf seiner Landkarte herum. Es muss doch einen Weg geben. Plötzlich stutzte er. Ich hab es! Inselhüpfen!
Im Morgengrauen eilte Malinowski zum Pier, wo ihm am Vortag ein Frachter aufgefallen war. Es gelang ihm tatsächlich, den Kapitän zu beschwatzen. So reiste das Ehepaar Malinowski auf einem Phosphatfrachter von Singapur nach Nauru, vorbei an den Karolinen, die als blaue Schatten am nördlichen Horizont vorüberglitten.
Immerhin, sagte Malinowski, sind wir ein Stück näher dran.
Im Hafen von Nauru trafen sie auf den arbeitsunfähig herumlungernden Keola, der gerade erwog, sich auf dem eben eingelaufenen Frachter einzuschiffen; als blinder Passagier, denn Geld hatte er keins.
Der weißhaarige Fremde, der mit seiner schönen Frau eben in einem
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