Der Lavagaenger
des Todes.
Bald danach kam es zum ersten Krieg unter den Menschen. Und einige von ihnen mussten fliehen. Sie fuhren über das Meer und wussten nicht wohin. Da wurde Maui, tief unten in seinem Gefängnis, von Mitleid erfasst. Er weinte. So sehr, dass auch die Göttin der Nacht mit ihm weinte und ihn noch einmal ans Tageslicht ließ.
Maui erschien dem klügsten der Menschen und lehrte ihn, auch dort Wege zu finden, wo keiner sie sieht. Als sichtbares Zeichen dieses Wissens schenkte er ihm eine Kette aus Walzähnen, die wir
niho palaoa
nennen. Dann sagte Maui: Fahrt nach Norden, dort findet ihr ein neues Hawaiki.
So war es auch. Die größte der neuen Inseln nannten die Menschen zur Erinnerung an ihre alte Heimat Hawai’i. Eine andere trägt Maui zu Ehren noch immer seinen Namen: Maui.
Diese Geschichte hat mein Großvater, William Christopher Palaoa, meinem Vater, Leo Palaoa, erzählt, und der hat sie mir, Keola Palaoa, erzählt, als er anfing, mich in der Kunst der Navigation zu unterweisen. Mit einem würdevollen Neigen des Kopfes schloss Keola seine Erzählung. Damit war eine Bekanntschaft gemacht, an deren Ende man gemeinsam übers pazifische Meer fahren sollte.
Während Malinowski sich mit Keolas Hilfe in dem einzigen Hotel der Insel einquartiert hatte und sich mit ihmpalavernd über Seekarten beugte, schlenderte Siyakuu im grellen Mittagslicht durch den Hafen. Im Kopf das Bild einer schattigen Lagune, suchte sie die Verladekräne und Phosphathallen hinter sich zu lassen. Doch eben hatte die Grubenbahn eine der Aufbereitungsanlagen verlassen und blockierte auf einem der Nebengleise, das quer über die Straße lief, Siyakuus Weg. Kurzerhand tat Siyakuu das, was sie in ihrer Jugend oft getan hatte, sie kletterte zwischen den Wagen hindurch.
Als sie von einer Wagenkupplung herab auf die Erde gesprungen war und ihre Kleider kurz nach Flecken untersucht hatte, blickte sie am Zug entlang und sah den Fahrer der Grubenbahn. Er machte sich gerade mit einem Schraubenschlüssel an der Lok zu schaffen und hatte Siyakuu nicht bemerkt. Zum Glück, dachte sie und wollte in Erinnerung an lange bahnbeamtliche Vorträge über die Gefahren ihrer Kletterei schnell davon.
Etwas jedoch hinderte sie am Weitergehen, etwas an der Art, wie dieser Mann sich mit der linken Hand die Haare nach hinten strich. Sie zögerte, doch ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie lief ein paar Schritte, hielt inne und näherte sich schließlich in einem Bogen der Lok. Das Gesicht, sie musste erst das Gesicht gesehen und festgestellt haben, dass sie dieses Gesicht nie gesehen hatte, das diese Ähnlichkeit in der Bewegung nur zufällig war. Sie könnte ihn ansprechen, etwas fragen, etwas Unverfängliches, nach dem Weg …
Dann, noch ehe er sich ihr zugewandt hatte, war sie sich sicher. Weder Staub noch Schmieröl, noch die dreißig Jahre, seit der Zug aus dem Bahnhof von Konya ausgefahren war, konnten die vertrauten Züge dieses Gesichts verbergen. Ja, er war es wirklich: Hans Kaspar Brügg.
XXIII
Es war sehr viel Zeit zwischen ihnen. Lange, gelebte Jahre. Gerade das machte vielleicht, dass sie sehr viel Zeit hatten. Sie mussten, wenn sie es denn gekonnt hätten, einander nicht stürmisch in die Arme sinken. Sie mussten, wenn sie denn Worte gefunden hätten, nicht versuchen zu berichten. Sie konnten sich ansehen und Alltägliches reden.
Hans Kaspar wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Es ist heiß heute.
Ja, sagte Siyakuu, sehr heiß. Gibt es hier kein schattiges Fleckchen?
Doch, Hans Kaspar streckte den Arm aus, dort drüben.
Dort, Siyakuu wies in die entgegengesetzte Richtung, aus der sie eben gekommen war, in diesem Hotel wohnen wir.
Ja, sagte Hans Kaspar, ich weiß, es gibt nur das eine.
Sie waren sich nicht fremd, doch unbekannt. Nicht nahe, doch einander verbunden. Was dies für die Zukunft bedeutete, wussten sie freilich nicht. Sie wussten nur, jetzt danach zu fragen, hätte sie wieder getrennt. Aus dem gleichen Grund scheuten sie sich auch, nach dem zu fragen, was gewesen war.
Als Hans Kaspar, frisch gewaschen und rasiert, am Abend zur verabredeten Zeit im einzigen Hotel eintraf, war er nicht überrascht, an Siyakuus Seite einen Mann anzutreffen. Schließlich hatte sie
uns
gesagt: Isst du heute Abend mit uns? Alles andere hätte ihn gewundert, und er wusste nicht einmal, ob ihm ein solches Wunder recht gewesen wäre.
Malinowski war der Garant dafür, das Hans Kaspar weder Siyakuu noch sich selbst zu
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