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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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geheißen haben –, den sie aufhängten. Aber was, wenn sie ihn finden, bei mir? Weg muss er, weg heute Nacht. Das wird er ihm sagen.
    Zimenko heißt der Pole, Kristof Zimenko, ein junger Bursche, Zivilist, noch nicht reif gewesen für den Krieg.
    Hans Kaspar hackt Holz, die Klötze neben dem Schuppen spaltet er, einen nach dem anderen. Derweil Zimenko im Schuppen auf Hans Kaspars Geheiß das restliche Holz im Verschlag ausräumt und sich mit Brettern eine Buchte baut. Dahinein kriecht Zimenko: Passen gut! So tönt es aus der Holzhöhle.
    Dann also die frisch gehackten Scheite drüber. Doch vorher tut Hans Kaspar etwas, was er lieber nicht hätte tun sollen. Er nimmt Zimenko mit in die Küche. Pellkartoffeln und Quark, mit viel Leinöl und dick Zwiebeln drüber.
    Bin ja allein in Bude, scherzt Zimenko und häckselt sich noch eine Zwiebel.
    Morgen früh bist du weg!, mahnt Hans Kaspar ernst, ich habe Frau und Kinder.
( Eine
Frau hat Hans Kaspar verschwiegen. Das muss der nicht wissen.)
    Sie gabeln Kartoffeln und kauen. Schweigend. Hin und wieder ein Blick, misstrauisch.
    Bald kommen die Kinder, sagt Hans Kaspar.
    Dann also ab in den Schuppen. Wieder quer über den Hof. Da spätestens muss es passiert sein.
    Was?
    Helder weiß es:
Einer sieht immer zu.
    Auch Hans Kaspar behauptete das, als er in der Nacht Ahmads Schuhe schnürte und die Frauen fassungslos nach Gründen fragten. Ja, sagte er, da sitzt ein Pole im Schuppen.
    Henriette schien kaum überrascht. Wo Erdmuthe noch versuchte, Hans Kaspar zum Bleiben zu bewegen, sagte sie, es sei besser, damit der Rest der Familie nicht leide.
    Nein, sie bräuchten sich nicht zu sorgen, der Pole sei auch bald über alle Berge. Und schuld, ja, da habe Henriette recht, man solle es der Gestapo so sagen: Schuld an allem sei er.
    Da hat ihm Henriette Stullen geschmiert, und Erdmuthe holte aus dem Vertiko einen Briefumschlag. Da, sagte sie, da ist Onkel Denhardts Marke drin, die Grüne Wituland. Die bringt viel Geld.
    Dann ist er auf den nächsten Zug aufgesprungen in Eisenbahneruniform. Du, Kollege, ein kleines Problem … So kam er durch.
    Den Polen kriegten sie, nicht im Schuppen, irgendwo an der Neiße, als er sich im Fluss die Füße wusch.
     
    Hans Kaspar auf den Klippen muss eines gewusst haben: An jenem Tag hatte sein zweites Leben begonnen. Das erste, als tanzender Derwisch in Konya, war kurz. Wann hatte es geendet? Vielleicht als er auf dem Bahnsteig das Signal zur Abfahrt des Deportationszuges gab.
    Der Funke Gottes, hatte Ahmad einmal gesagt, mag verschüttet liegen in unserer Seele. Zu leben heißt, ihn stets aufs Neue freizulegen.
    Hans Kaspar zog seine Schuhe wieder an, schnürte sie fest und begann von der Klippe zu steigen. Es sind die vielen kleinen, wohlbegründeten Unterlassungen, welche die großen, unbegreiflichen Verbrechen möglich machen. Dies war einer der wenigen lesbaren Sätze in Hans Kaspars Notizen, und: Es sind zu viele Opfer, um zu schweigen.
     
    Ende August 1946 entdeckte Keola am Ufer der Verbotenen Insel ein seltenes Strandgut, einen Rucksack, an dem eine Leine befestigt war. Er enthielt drei Flaschen Branntwein und musste, so Keolas Spekulation, von Bord eines Kriegsschiffes stammen. Vermutlich hatte ein Matrose den Schnaps an Bord zu schmuggeln versucht, war aber beim Einholen seines Fangs gestört worden, so dass er Rucksack samt Leine hatte fahrenlassen.
    Da Alkohol auch auf der Verbotenen Insel unerwünscht war, verstaute Keola seinen Fund für besondere Gelegenheiten im hohlen Stamm eines Baumes, nicht ohne sich vorher ein Schlückchen zu gönnen. Nicht nur der Duft des Brandys erinnerte Keola an sein früheres Leben, auch eine noch lesbare Notiz auf dem durchweichten Zeitungspapier, in das die Flaschen, um sie beim Transport zu schützen, eingewickelt worden waren.
    Vor drei Tagen meldete sich ein Mann auf der Polizeiwache in Chinatown und bezichtigte sich selbst des Kannibalismus. Einer der Beamten erinnerte sich an das Wrack der ›Rutas‹, das Wochen zuvor von einem Schiff der US-Marine aufgegriffen worden war.
    Ein daraufhin herbeigeschaffter Zeuge, Herr Professor Malinowski, bestätigte gewisse tragische Vorfälle. Da aber der Kannibale, ein Deutscher namens Brügg, die alleinige
Schuld auf sich nahm, wurde gegen Herrn Professor Malinowski keine Anklage erhoben.
    Der Anwalt des Angeklagten deutete unserem Korrespondenten gegenüber an, sein Mandant werde im Prozess auch die Umstände des Todes einer Mitreisenden, Frau Siyakuu

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